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Canossa-Streit reizt
auch die Buchverlage

Historische Biografien und ein Mittelalter-Schmöker

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Zur großen Canossa-Ausstellung in Paderborn wird ein umfangreicher Katalog mit mehreren wissenschaftlichen Beiträgen erscheinen. Wer sich aber vorab schon mal in das Thema einlesen will, für den halten die Buchhandlungen Literatur ganz unterschiedlicher Art bereit.

Eine brillante Einführung in das Canossa-Geschehen mit einer fundierten Einordnung des Investiturstreits in die Geschichte des Mittelalters liefert das aktuell erschienene Sachbuch »Canossa - Die Entzauberung der Welt« (Verlag C.H. Beck, München 2006, 254 S., 19.90 Euro) von Stefan Weinfurter. Der Heidelberger Mediävist gilt als einer der profiliertesten Kenner der Salierzeit. Er gehört zum wissenschaftlichen Beirat der Paderborner Canossa-Schau und hat seine Thesen auch schon in einem viel beachteten Vortrag in der Kaiserpfalz dargelegt.
Weinfurter skizziert in seinem für ein historisch interessiertes Lesepublikum gedachten, dabei lebendig und regelrecht spannend geschriebenen Sachbuch die Zeit Heinrichs IV. und das damalige Papsttum vor und mit den Reformbemühungen Gregors VII. Wohltuend »neutral« und immer unter Anführung der wichtigsten Quellen beleuchtet er den eskalierenden Streit um die Vorherrschaft zwischen Staatsmacht und kirchlicher Autorität.
Das Ergebnis des köngiglichen Bußgangs zu Papst Gregor VII. im Jahre 1077 wertet Weinfurter nicht als Endpunkt, sondern eher als Wendemarke in einem noch Jahrzehnte währenden Konflikt. »Canossa hatte keine Klärung gebracht«, heißt es bei ihm. »Das Reich stand nun erst recht vor einer Zerreißprobe größeren Ausmaßes.« Dennoch sei hier der Beginn des »Ausbaus des Staatswesens als einer rechtlich geschlossenen Körperschaft auf der Grundlage des römischen Rechts« zu verorten.
Während sich der Historiker Gert Althoff in einer ausführlichen Monografie mit »König Heinrich IV.« (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, 336 S., 34.90 Euro) beschäftigt, widmet sich der italienische Mittelalter-Forscher Vito Fumagalli der dritten herausragenden Figur des Canossa-Konflikts, der Markgräfin Mathilde von Tuszien (1046-1115). In seiner ebenfalls leicht lesbaren Biografie »Mathilde von Canossa« (Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 1998, 128 S., 8.90 Euro) schildert er die Gastgeberin des Treffens auf der norditalienischen Burg als papsttreue Vermittlerin und Vertraute des Heiligen Stuhls. Ungeachtet ihrer Fähigkeiten als Herrscherin und militärische Führungspersönlichkeit habe sie ihre wahre Berufung in der Verteidigung des Glaubens und der Kirche gesehen. Die Thesen des Buches wirken allerdings nicht immer evident, zumal oft konkrete Quellenbezüge fehlen. Entstanden ist somit ein mehr atmosphärisch als wissenschaftlich überzeugendes Porträt der Mathilde.
Die politischen und kulturellen Zusammenhänge des 11. und 12. Jahrhunderts erschließen sich dem Leser rasch in dem komprimierten historischen Abriss »Die Salier« (Verlag C.H. Beck, München 2006, 128 S., 7.90 Euro) von Johannes Laudage, der ebenfalls dem Wissenschaftlichen Canossa-Beirat angehört. Die einzelnen Mitglieder der Herrscherfamilie werden in personenbezogenen Darstellungen porträtiert.
Mit Frederik Bergers historischem Roman »Canossa« (Aufbau Taschenbuch-Verlag, Berlin 2006, 608 S., 9.95 Euro) finden schließlich auch Literaturfreunde, die »trockenem« Geschichtswissen nichts abgewinnen können, lohnenden Lesestoff. Der aus Bad Hersfeld stammende Literaturwissenschaftler und Journalist begibt sich mit seiner exakt an den historischen Quellen orientierten Erzählung auf eine plastische Zeitreise an den Königshof Heinrichs IV.
Dabei gehört seine Sympathie eindeutig dem Salierkönig, dessen abenteuerliche Jugend mit zwischenzeitlicher Entführung durch den Bischof von Köln ihm nachvollziehbare Begründung für seine spätere Unnachgiebigkeit im Streit mit der Kirche liefert. Höhepunkt der Romanhandlung, die mit einer nachgedichteten Fassung der Lebensbeschreibung des Mönchs von Hersfeld verzahnt wird, ist natürlich der Kniefall Heinrichs vor dem Papst im Januar 1077 in Canossa. Hier beweist Berger sein ganzes Talent als journalistischer Geschichten- und Geschichtserzähler - ein Lesespaß für Schmöker-Freunde.

Artikel vom 30.05.2006