29.05.2006
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Ich bezweifelte, dass Honor Blackman nur wenige Stunden, nachdem sie jemanden kennen gelernt hatte, diesem Jemand erlaubt hätte, sie nackt zu malen. Und sicher wäre sie ihm nicht auf dem Rücksitz eines Autos zu Willen gewesen - auf dem Rücksitz eines Autos, ich bitte Sie, auf dem teuersten Schiff der Menschheitsgeschichte É
»Ich hab gedacht, da kommt ein Eisberg drin vor«, sagte ich.
Laura weinte stumm in sich hinein. Frank hustete verlegen und mied meinen Blick.
Das verfluchte Schiff weigerte sich drei volle Stunden lang unterzugehen. Als es schließlich doch unterging, war ich so traumatisiert, dass mich nicht mal mehr der langsame Tod von Plattschnauze trösten konnte. Der Dialog, die Schauspieler, die ungeheure Leere des ganzen Unternehmens - ging das heutzutage als Kino durch? Ich kam mir wie vergewaltigt vor, vergewaltigt von einem Heer Steuerberater.
K
Es dauerte einige Minuten, bis ich wieder so weit bei Kräften war, dass ich sprechen konnte. »Frank«, sagte ich matt. »Ich geh jetzt schlafen.«
»Kein Problem«, sagte Frank.
»Tut mir Leid«, sagte ich. »Aber meine Augen können jetzt nichts mehr ertragen.«
»Schon gut, Charlie«, sagte Frank freundlich. »Versteh ich doch.«
»Was ist mit É?« Ich nickte in Richtung des zerstörten Etwas, das mir die Hosen vollschluchzte.
»Mach dir keine Sorgen, Charlie, ich kümmer mich drum.«
»Danke, mein Alter.« Ich drückte schwach seinen Arm. »Danke.«
Ich wand mich aus der Umklammerung, ging in mein Zimmer und legte mich im Dunkeln nieder. Auf Schlaf konnte ich jedoch kaum hoffen. Die tödliche Wirkung des schauerlichen Films hatte die mich umtreibenden Ängste bis zur Raserei aufgepeitscht und zudem alte, schlummernde Ängste wieder auflodern lassen: Zusammen mit den gespenstischen Mächten des RigbertÕs attackierten sie mich und stießen wie Fledermäuse mit flatternden Flügeln von den sich drehenden Wänden auf mich herab. Ich schlug die Hände vors Gesicht und kauerte mich am Kopfende der Matratze zusammen. Visionen von Verderben und Verfall peinigten mich: von Harry, der an den glänzenden Knöpfen seiner Weste herumfingerte; von großen Krähen, die auf den Kaminen des Hauses hockten; von Bel, die auf dem hilflos treibenden Golemschiff gefangen war, umzingelt von Pappmachémenschen, die tote Verse rezitierten und zu Staub zu zerfielen, sobald der Eisberg in Sicht kam É Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, den Gedanken, dass sie allein dort war, ganz allein.Und so - obwohl ich wusste, dass ich es am Morgen bereuen würde - griff ich nach dem, was mir in meiner Verzweiflung als der einzige Rettungsanker erschien, der mir noch blieb: Ich ging zum Telefon und wählte MacGillycuddys Nummer.
E
»Verdammt, MacGillycuddy, ich bin nicht in der Stimmung für ihre Spielchen. Ich hab Arbeit für Sie, falls Sie das im Terminplan ihres schleimigen Unternehmens noch unterbringen können.«
»Haben Sie getrunken?«, fragte MacGillyduddy tadelnd.
»Ja, habe ich. Wollen Sie mir jetzt zuhören oder nicht?«
Er gähnte. »Es geht doch nicht wieder um Frank, oder?«
»Natürlich nicht. Wenn es um Frank ginge, dann É Diesmal ist es was anderes, es geht um diesen Burschen Harry.«
MacGillycuddy gluckste. »Der knallt Ihre Schwester und klaut auch noch die Möbel, richtig?«
I
Aus dem Hörer kam ein Geräusch, dass sich anhörte, als lutschte MacGillycuddy an seinen Zähnen. Schließlich antwortete er. »Geht nicht«, sagte er.
»Wie, Ýgeht nichtÜ? Was soll das heißen? Warum gehtÕs nicht?«
»Vertraulich«, sagte MacGillycuddy.
Ich taumelte. Ich hatte mit Widerspruch gerechnet. Sogar mit etwas Häme. Aber eine glatte Abfuhr hatte ich nicht vorausgesehen. Vertraulich: Wer hätte gedacht, dass dieses Wort so grauenvoll zuschlagen konnte? Vertraulich: Das hieß, was für dunkle Ränke auch immer geschmiedet wurden in Amaurot, MacGillycuddy steckte bis zum Hals mit drin. MacGillycuddy, dessen Auftreten in der jüngsten Geschichte des Hauses Amaurot ein Omen darstellte, dass nicht Unglück verheißender hätte sein können als jede schwarze Katze, jeder kreischende Pfau, jeder zerbrochene Spiegel É
S
»Que sera, sera«, sagte er. »Wie es so schön in dem Lied heißt.«
»Was?«, flüsterte ich. »Was meinen Sie?«
»What will be will be, Mister Hythloday. What will be will be.« Dann lachte er, es klickte, und die Leitung war tot.
V
Lange Zeit saß ich so da, die Hand auf dem Mund, die Füße unter der Decke kalt wie zwei Eisblöcke. Und dann, gerade als mich die Verzweiflung gänzlich zu übermannen drohte, fielen mir wieder Lauras Worte ein. Vielleicht solltest du ein Stück schreiben. Sie war schon die Zweite, die das sagte. Bel hatte es sarkastisch gemeint, und Laura war eben Laura, sodass ich den Gedanken daran praktisch sofort verworfen hatte. Doch jetzt, als ich so darüber nachdachte, erschien mir der Vorschlag nicht völlig sinnlos.
Ich stolperte ins Wohnzimmer. Es war leer. Frank hatte Laura sicher ein Taxi gerufen. Ich setzte mich auf die verlassene Couch und schaute fragend in die Dunkelheit. Natürlich! Schreib ein Stück! Wieso war mir das nicht schon früher eingefallen? Wenn ich ein unterprivilegierter Künstler war, dann mussten sie mich wieder ins Haus lassen.
U
Ich lehnte mich zurück und betrachtete mein Werk. Charles.
Artikel vom 29.05.2006