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1000 Zwerge schleppten Steine

Von der stolzen Mittelalter-Burg Canossa steht heute nur noch eine Ruine

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). »Es sind immer die Deutschen, die Canossa bekannt gemacht haben - erst König Heinrich IV., dann Reichkanzler Bismarck und jetzt die Stadt Paderborn.«

Mario Bernabei findet es einfach »fantastico«, dass die Region um die Büßer-Burg in Norditalien in diesem Sommer in den Blickpunkt der großen Paderborner Mittelalter-Ausstellung gerückt wird. Der Geschäftsführer der Mathilden-Gesellschaft und bekennende Canossa-Fan hat dann auch alle Hebel in Bewegung gesetzt, um der 18-köpfigen angereisten Journalisten-Gruppe aus Germania den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen und sie mit allen erdenklichen Informationen zur Geschichte der Burg zu füttern. Wer sonst als sie sollte die Aufmerksamkeit der Teutonen, die auf der Urlaubsfahrt an die Adria oder in die Toskana die Region »Emilia Romagna« immer nur rechts liegen lassen, auf den Ort lenken, an dem im bitterkalten Januar des Jahres 1077 Weltgeschichte geschrieben wurde?
Die Burg Canossa, vor deren Toren sich der deutsche König Heinrich IV. in jenem Jahr dem römischen Papst Gregor VII. reumütig unterwerfen musste, hat schon bessere Tage gesehen. Dem Besucher, der auf der Fahrt aus der flachen Po-Ebene an den Nordrand des Appenin-Gebirges bereits einige zum Teil gut erhaltene Burgen passiert hat, bietet die einstige Wehranlage auf dem kleinen Bergkegel heute nur noch ihre Ruine dar. Dort, wo einst die Markgräfin Mathilde von Tuszien den Papst und dessen Berater sowie den König und einen Teil seines Gefolges zu Gast hatte, erinnern nur noch die Reste eines Burgturms an die herrschaftliche Vergangenheit.
Mathildes Vorfahr Adalbert Atto war es, der um 950 den Bau der Burg Canossa in Angriff nahm. Um die Errichtung der Wehranlage ranken sich märchenhafte Geschichten. So soll der wackere Adelsmann auf der Jagd einen weißen Hirsch vor der Kalksteinwand des Felsens zur Strecke gebracht haben - und zum Dank dafür an dieser Stelle die Festung in Auftrag gegeben haben. Als Bautrupp engagierte er der Legende zur Folge tausend Zwerge, die die Steinblöcke auf die Bergspitze schleppen mussten.
Die kleinwüchsigen Helfer müssen gute Arbeit geleistet haben. Immerhin reihte sich die Burg Canossa zur Regierungszeit der Markgräfin Mathilde (1046-1115) perfekt in ein dichtes Netz von Verteidigungsanlagen ein. Als der unter kirchlichen Bann gestellte König Heinrich IV. im Winter 1076/77 den Papst auf dessen Weg zur Reichssynode nach Augsburg abfangen wollte, lud die norditalienische Regentin die beiden Kontrahenten in ihre Feste ein. Vor den Toren der Burg musste der König der Überlieferung nach drei Tage lang barfuß im Büßerhemd ausharren, bevor der Papst den mit kreuzweise ausgebreiteten Armen im tiefen Schnee liegenden König begnadigte. Einen 15 Jahre später unternommenen Rachefeldzug Heinrichs hielt die Burg noch Stand. Dem Zahn der Zeit vermochte Canossa aber nicht zu trutzen. Der poröse Kalkstein ließ einen Teil der Burg abrutschen.
Übrig ist heute nur noch die Ruine der Burgkirche. Palast und Kloster sind verfallen. Dafür hat man vor zwanzig Jahren auf dem Burgberg ein kleines Museum eingerichtet, in dem die Geschichte Canossas dokumentiert wird. In den Vitrinen liegen Fundstücke der vor etwa 100 Jahren durchgeführten archäologischen Ausgrabungen: Kapitelle der Klosterkirche, Mosaiken und Keramikscherben.
Die Vermarktung des historischen Ereignisses besitzt noch erhebliches Entwicklungspotenzial. Immerhin hat man im nahen Dörfchen Ciano an der Enza den weltgeschichtlichen Klang der zerbröselten Festung erkannt und den Ortsnamen »Canossa« angenommen. An der »Via Matilda« weist dagegen wenig auf das mittelalterliche Gipfeltreffen hin. Erst an der Zufahrt zur Burg passiert man ein kleines Steinrelief, auf dem der Kniefall des Königs vor dem Papst dargestellt ist.
Zumindest in Paderborn wollen die »Reggianer« aber in diesem Sommer für »ihr« Canossa kräftig die Werbetrommel rühren. Mario Bernabei organisiert derzeit ein ganzes Bündel von ausstellungsbegleitenden Aktionen. So sollen zur Eröffnung des Schauereignisses Akteure des alljährlichen mittelalterlichen Mathilden-Umzugs der Region Canossa in ihren historischen Kostümen für Aufmerksamkeit an der Pader sorgen. Für August ist ein Paderborn-Gastspiel des Theater-Ensembles geplant, das an der Burgruine in Canossa das Historienspiel »Heinrich der Vierte« von Pirandello als Freilicht-Inszenierung aufführt. Während der Liboriwoche dürfen sich die Paderborner Bürger und Gäste auf Delikatessen aus der »Emilia Romagna« freuen. Neben süffigem Lambrusco produzieren die »Reggianer« den bekannten Parma-Schinken, Mortadella, Parmesan-Käse und als besondere Spezialität den in traditioneller Herstellung gewonnenen Balsamico-Essig.

Artikel vom 11.05.2006