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Dr. Manfred Karsch ist Pfarrer im Referat pädagogische Handlungsfelder in Schule und Kirche des Kirchenkreises Herford.

Gedanken zum Wochenende

Von Pfarrer Dr. Manfred Karsch


Einer muss anfangen, aufzuhören!
Dieses Schlagwort klingt einfach und praktikabel: Einer muss den ersten Schritt wagen; einer muss den Mund aufmachen, wenn alles schweigt. Einer..., nur einer... Was einfach klingt, höre ich auf dem Hintergrund unserer Zeit: Das Thema Gewalt schickt sich wieder einmal an, die Schlagzeilen der Zeitungen zu stürmen: Nächtlicher Überfall auf einen Farbigen, Gewalt auf dem Schulhof, Gewalt gegen Kinder und nicht zuletzt internationale Drohgebärden um Atomkraft, 61 Jahre nach Hiroshima und 20 Jahre nach Tschernobyl.
Aber: Wer fängt an aufzuhören? »Der Klügere gibt nach!« Mit dieser alten Kinderweisheit, mit denen wir als Eltern vielleicht noch den Streit zwischen den Kindern schlichten, ist es nicht getan. Denn schnell ist dann der Klügere der Dumme. Und zu viele Beispiele unserer Geschichte könnten ins Feld geführt werden, in denen uns die Unnachgiebigkeit der Klügeren vor den Folgen der Dummheit der anderen bewahrt hat. Also: Wer fängt an?
Ich entdecke eine biblische Randnotiz von der gewaltsamen Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane:
Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: »Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?« Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. Da sprach Jesus: »Lasst ab! Nicht weiter!« Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.
Diese biblische Notiz lädt dazu ein, dem Tun des Einzelnen mehr Beachtung zu schenken. Denn das Aufhören Jesu beschränkt sich nicht im Nichtstun. Aufzuhören hat nicht nur damit zu tun, etwas nicht zu sehen, nicht zu hören, nichts zu sagen. Auch Gleichgültigkeit ist eine Wurzel der Gewalt. Die Heilungsgeschichte inmitten der Gewaltszene ist für mich der Schlüsselpunkt für das, was Aufhören bedeuten kann: Jesus bietet in dieser Situation neues, heiles Leben an, statt das Leben des anderen zu bedrohen oder gar zu nehmen. Eine Lösung liegt nicht in dem, was ich dem anderen nehmen kann, sondern in dem, was ich ihm geben kann, was ihm fehlt.
Doch letzten Endes geht es darum: Aufzuhören, sich gegenseitig zu verletzen und anzufangen, einander zu heilen, dem anderen nicht das Leben zu nehmen, sondern ihm menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

Artikel vom 06.05.2006