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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Christoph Freimuth


Am 26. April erinnerte der 20. Jahrestag an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Eine unglaublich lange Zeit ist das schon. Ich erinnere mich noch, wie ich im April 1986 auf Klassenfahrt in Amsterdam war. Wir haben alle erst einige Tage später mitbekommen, was geschehen ist. Wir konnten es erst gar nicht begreifen, wie so viele andere auch. Aber auch der größte anzunehmende Unfall kann Wirklichkeit werden, das hat Tschernobyl gezeigt.
Nun sind 20 Jahre vergangen und am 26. April erinnerten viele Sendungen und Berichte an den Reaktorunfall. Aber wie schnell ist so ein Tag vergessen und alles geht wieder zur Tagesordnung über. Gedenktage gibt es eben meistens für Ereignisse, die schnell in Vergessenheit geraten oder gern verdrängt werden. So ein Tag fordert uns jedoch dazu auf: Erinnert euch und vergesst nicht!
Erinnert euch an die unzähligen Opfer und die bleibenden Schäden. Zahllose Menschen sind sofort oder an Spätfolgen gestorben. Geschätzt werden etwa 70000 Opfer, obwohl es bis heute keine verlässlichen Zahlen gibt, weil zuviel Eigeninteressen eine Rolle spielen. Noch heute werden viele Kinder mit Erbgutschäden geboren und gibt es Tausende von chronisch Erkrankten in der Region, Menschen, die körperlich und seelisch dahinvegetieren. Die Folgen der Reaktorkatastrophe wirken immer noch nach und sind irreversibel. Verseuchtes Wasser, verstrahlte Böden, zerstörtes Leben bis heute.
Erinnert euch! An noch etwas anderes erinnert der Gedenktag. Über Kernenergie steht bekanntlich nichts in der Bibel. Aber etwas anderes, lohnt sich in diesem Zusammenhang zu bedenken. Nach biblischem Zeugnis entstehen nämlich Chaos und Verderben immer dann, wenn Menschen aus dem lebensförderlichen Zusammenspiel der Schöpfung ausbrechen und glauben, alles beherrschen zu können, und dabei ihre eigene Fehlerhaftigkeit und Endlichkeit vergessen. Ein Mensch macht eben Fehler. Ein Mensch kann nicht alles beherrschen, was machbar ist. Diese biblischen Einsichten werden zu häufig vergessen. Auch beim Reaktorunfall von Tschernobyl war es menschliches Versagen, was die Katastrophe ausgelöst hat. Erstaunlich schnell versicherte die Atom-Lobby, so etwas könnte mit den anders gebauten, viel sicheren Atomkraftwerken in Deutschland nicht geschehen. Aber die tödlichen Gefahren der Kernenergie sind nicht mit Sicherheit zu beherrschen. Das Restrisiko liegt im Menschen. Der sichere Betrieb eines Kernkraftwerks erfordert den fehlerfreien Menschen. Den aber gibt es nicht.
Auch die Sicherheitsrisiken der Endlagerung, des Transportes und der Gefahr, dass sich Terroristen angereichertes Uran besorgen, um eine tödliche Bombe zu bauen, sind nicht gelöst. Christen haben die Aufgabe, die Schöpfung zu bewahren und sich für den Frieden einzusetzen. Beides ist mit Kernenergie nicht erreichbar.
Darum finde ich es richtig, dass die Evangelische Kirche zum Jahrestag der Reaktorkatastrophe noch einmal bekräftigt hat, dass es beim Ausstieg aus der Kernenergie bleiben muss. Das geht aber nur, wenn gleichzeitig mit dem Aufbau eines dezentralen und nachhaltigen Energieversorgungssystems begonnen wird. Für diese Aufgabe sollte aller politischer Elan und Eifer eingesetzt werden und nicht für die erneute Debatte über das Für und Wider der Atomenergie. Auch daran erinnert der Jahrestag des Reaktorunfalls von Tschernobyl. Dabei sind wir alle gefordert, jeder Einzelne. Denn die Energiewende wird nur möglich, wenn alle mitmachen und ihren Lebensstil verändern. Wenn jeder seinen Energieverbrauch minimiert, verstärkt klima- und umweltschonende Techniken einsetzt und verstärkt erneuerbare Energieträger nutzt. Damit sich eine Katastrophe wie Tschernobyl nicht noch einmal wiederholen kann.

Ihnen einen gesegneten Sonntag,
Ihr Christoph Freimuth

Artikel vom 06.05.2006