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Suchtkranke Patienten drücken die Schulbank

Schulabschluss in der Klinik Schloss Haldem nachgeholt

Stemwede-Haldem (WB). Anfangs war Marek Meier (Name von Red. geändert), Patient in der Maßregelvollzugsklinik Schloss Haldem, sehr skeptisch, fragte sich, ob ein Schulbesuch in seinem Alter überhaupt noch Sinn macht.

Doch der Pädagoge Paul Bosse, Mitarbeiter der Suchtbehandlungsklinik, erläuterte Meier die Vorteile und überzeugte den suchtkranken Straftäter, dass ein Schulbesuch von Januar 2005 bis März 2006 einen Hauptschulabschluss nach Klasse 10a einbringen könne. Anderseits, so warb Bosse, werde - fast nebenher - Meiers Fähigkeit zum Umgehen mit neuen Situationen und Anforderungen enorm gestärkt. Eine ganz wichtige Voraussetzung, um im Leben nach der Therapie wieder »Boden unter die Füße« zu bekommen. Es ist wie mit dem Training für den Körper. Genau wie die Muskeln sich trainieren und stärken lassen, geht das auch mit dem Geist. Marek Meier blieb skeptisch, sagte aber einen probeweisen Besuch zu.
Am Infotag fanden sich viele Interessierte in der Klinikschule ein. Vier gesicherte Türen hatten die Lehrkräfte für einige der Interessenten zuerst einmal öffnen müssen. Der Kursus wurde von den Pädagogen vorgestellt, Fragen nach der Bedeutung eines Hauptschulabschlusses in der heutigen Zeit beantwortet, Anforderungen an Pünktlichkeit, Regelmäßigkeit, Verbindlichkeit dargestellt.
Skepsis war zu spüren, Neugierde genauso. Am 17. Januar 2005 trafen sich dann zehn Patienten in der Schule wieder und erklärten ihre Absicht, über ein Jahr lang die Schulbank drücken und das Versäumte nachholen zu wollen. »Kein leichtes Unterfangen, wenn man bedenkt, dass neben dem täglichen Unterricht die Anforderungen der Therapie (Einzelgespräche, Gruppengespräche, Stationsaktivitäten, Plenen, Sport) weiterhin erfüllt werden müssen und die sich häufig daraus ergebenden Frustrationserlebnisse den Lernfortschritt nicht allzu sehr stören dürfen«, betont Paul Bosse.
Letztlich wurden auch in diesem Hauptschulabschlusskursus alle Schwierigkeiten überwunden und so konnte der Schulrat Harald Drescher aus Bielefeld jetzt die Zeugnisse an sechs Teilnehmer überreichen.
Einige von ihnen bekundeten, dass sie den eingeschlagenen Weg weiter verfolgen und die Mittlere Reife beziehungsweise einen Berufsabschluss erwerben wollen. Paul Bosse zeigte sich sehr erfreut darüber, dass auch der zweite Schulabschlusskurs in der Westfälischen Klinik erfolgreich beendet werden konnte. Damit verliert dieses Angebot nach seinen Worten den Projektstatus und wird zukünftig regelmäßig angeboten werden. Die Klinikleitung hat die Voraussetzungen dafür bereits durch die Festanstellung der beiden Lehrerinnen Ute Leonhardt und Nicole Kamphues geschaffen.
Bosse bedankte sich für die Unterstützung durch die Klinikleitung und die gute Zusammenarbeit mit dem für die »Nichtschülerprüfung« zuständigen Schulamt Bielefeld. Diese Aufgabe wird zukünftig dem Schulamt Minden zufallen, dessen Vertreter, der Schulrat Volker Aust, bereits an der Feierstunde teilnahm.
Dank galt besonders auch der Stemweder Hauptschule, denn sie hatte zum zweiten Mal die Prüfungskommission gestellt, sowie dem ehemaligen Leiter der Stemweder Realschule Horst Wörner, der ehrenamtlich einige Kursteilnehmer im Fach Mathematik betreut hatte.
In der Haldemer Klinik sind vier Pädagogen auf Zweieinviertel- Stellen für etwa 180 Patienten zuständig. In einer pädagogischen Eingangsdiagnostik wird bei jedem Patienten die Notwendigkeit einer schulischen Förderung geprüft. Das Angebot für die unterschiedlichsten Problemstellungen reicht von der Alphabetisierung über Deutsch als Zweitsprache bis hin zum Elementarunterricht in Grundkursen.
Weiterführender Unterricht wird in Aufbaukursen erteilt. Deren Teilnehmer wiederum besuchen später häufig den Vorbereitungskurs auf den Hauptschulabschluss nach Klasse 9 oder 10a der nach den Regelungen für »Nichtschülerprüfungen« durchgeführt wird. Darüber hinaus besuchen einige Patienten Realschulabschlusskurse bei den umliegenden Volkshochschulen oder streben in Einzelfällen sogar das Abitur an. Auch die berufliche Bildung spielt in der Klinik eine wichtige Rolle. Gabelstaplerführerscheine, EDV-Unterricht, Schweißscheine und Schnupperkurse im Metall- oder Holzbereich beim Berufsförderungswerk Espelkamp gehören neben praktischer Berufstätigkeit in einigen Firmen im Haldemer Umfeld zum ständigen Angebot.

Artikel vom 05.05.2006