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Schicksal trifft die Familie hart

Teil zwei der Serie über die Spiegels

Von Richard Sautmann
Versmold (WB). Vom Tode Paul Spiegels, des Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, sind viele Versmolder berührt. Denn Paul Spiegel war Versmold in besonderer Weise verbunden. Stadtarchivar Richard Sautmann beleuchtet im letzten Teil der Serie die Geschichte der Familie Spiegel.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich das Leben der Spiegels in Versmold schlagartig. Natalie Spiegel, die zweite Frau von Paul Spiegels Großvater Julius, erinnerte sich, dass viele der an sich zahlungsfähigen Kunden die Zahlung ihrer Viehlieferungen verweigerten. Zudem hätte eine nach der anderen Wurstfabrik die Abnahme von Fleischlieferungen aus jüdischen Schlachtereien abgelehnt. Schon 1934 reichte der Verdienst kaum aus, um die laufenden Ausgaben zu decken. 1936 dann wurde die Schlachtung von Großvieh ganz eingestellt. »Als sich die Verhältnisse wirtschaftlich nicht besserten und uns klar wurde, dass für uns und unsere Kinder eine Zukunft in unserer Heimat nicht mehr gegeben war, als auch noch zahlreiche persönliche Belästigungen durch die Partei dazu kamen, sind wir schließlich im November 1937 von Hamburg aus mit dem Dampfer der United States ÝWashingtonÜ nach Amerika ausgewandert«.
Am 30. Oktober 1937 meldete Julius Spiegel sich, seine Frau und die Kinder Kurt (Florida), Hans (New Orleans) und Irmgard (Florida) nach New York ab. Schon ein Jahr früher war die mit Alfred Meyer-Silberberg verheiratete Tochter Gertrud in die Vereinigten Staaten emigriert. Die beiden hatten bis 1934 eine Schlachterei im benachbarten Bad Rothenfelde betrieben, mussten sie aber unter dem Druck der dortigen NSDAP-Ortsgruppe verkaufen und zogen darauf für eine kurze Zeit nach Versmold, um schließlich auszuwandern.
Auch für Hugo Spiegel muss sich angesichts der katastrophalen Entwicklung des Versmolder Familienbetriebes die Frage nach der eigenen Zukunft gestellt haben. In Versmold bleiben konnte er jedenfalls nicht, weil es hier für ihn keine berufliche Zukunft gab. In den Jahren 1936/37 entschied sich sein Vater zur Emigration in die USA, aber diesen Schritt ging Hugo Spiegel nicht. Er ging vielmehr nach Warendorf, wo ihm am 31. Dezember 1937 Sohn Paul geboren wurde. Hier in Warendorf erlebte Hugo Spiegel die Pogromnacht, in der er des Nachts aus dem Bett gezerrt und von SA-Randalierern über Stunden hinweg verprügelt wurde.
Auch Hugo Spiegel erkannte nun, dass seine Familie in einem nationalsozialistischen Deutschland keine Zukunft haben könnte. Die Spiegels emigrierten nach Belgien, doch nur wenige Tage nach dem Einmarsch der Deutschen im Jahre 1940 wurde Hugo auf offener Straße verhaftet. Wie durch ein Wunder konnte er die langen Jahre der Inhaftierung überleben. 1942 wurde Rosa, Paul Spiegels Schwester verhaftet, nach Auschwitz deportiert und umgebracht - eine furchtbare Tragödie, die vor allem Paul Spiegels Mutter zeitlebens schwer belastete.
Hart traf das Schicksal auch die Geschwister von Hugo Spiegel aus erster Ehe. Hugos Schwester Else starb mit Ehemann und drei Kindern in Auschwitz. Sein älterer Bruder Norbert starb mit Frau und Tochter in Auschwitz. Einzig dessen Sohn Walter, Paul Spiegels Cousin, überlebte als Emigrant in den USA.
Das Haus der Familie Spiegel in der Altstadtstraße wurde noch 1937 an den Viehhändler Richard aus Kölkebeck verkauft, der es wiederum im Jahr 1939 an den Weber Fritz Schneider veräußerte. Seit 1991 ist das Anwesen als Wohnhaus in privater Nutzung.

Artikel vom 05.05.2006