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Das Wort zum Sonntag

Von Pastor Dr. Thomas Möllenbeck, Pastoralverbund Nethegau

Pastor Dr. Thomas Möllenbeck
Kennen Sie Ludwig Rellstab?
Wenn Günther Jauch Sie fragen würde, ob er ein Rennfahrer, ein Stabhochspringer, ein Dichter oder ein Politiker gewesen ist, wüssten Sie es? Könnten Sie wenigstens einigermaßen erraten, ob er vor zehn, fünfzig, hundert oder hunderfünfzig Jahren gestorben ist? Ich hätte bis zum letzten Dienstag nicht einmal gewußt, wen ich als Joker hätte einsetzen können. Gott kennt Ludwig Rellstab natürlich, aber Ihn kann man schlecht ans Telephon bekommen.
Am Dienstagabend habe ich dann von Ludwig Rellstab erfahren, zufällig, könnte man sagen, aber man kann auch sagen, notwendigerweise: Er war ein Dichter, der vor mehr etwa 150 Jahren gestorben ist.
Zufällig hörte ich von ihm, weil ich die Karte zu einem Liederabend geschenkt bekommen hatte. Man hätte mir ja auch ein Symphoniekonzert schenken können; und wenn doch einen Liederabend, dann hätte der Sänger ja auch andere Lieder für das Konzert auswählen können. Trotzdem habe ich Ludwig Rellstab notwendigerweise kennengelernt. Denn jeder wird seine Gedichte immer dann hören, wenn ein Sänger den Schwanengesang vorträgt. Dann hört man Rellstabs Gedichte im ersten Teil und danach die von Heinrich Heine. Ja, den Dichter kennt man, feiern wir doch gerade das Heinrich-Heine-Jahr! Aber an ein Ludwig-Rellstab-Jahr kann ich mich nicht erinnern.
Liegt das wohl daran, daß Heine schönere Gedichte geschrieben hat, und nur die Besten der besten Dichter im Gedächtnis der Sprachgemeinschaft bleiben? Unser Gedächtnis ist ja leider so begrenzt. Seit Dienstag jedoch erinnere ich mich auch an Ludwig Rellstab, weil ich den Schwanengesang gehört habe, den Franz Schubert komponiert hat. Merkwürdig ist nun dies: Auch wenn Heine der bessere Dichter gewesen ist, sind Schuberts Lieder nach den Gedichten von Rellstab genauso schön. Sie fallen keineswegs aus dem Rahmen des gesamten Liederzyklus. Heines Gedichte haben Schubert zur Vertonung inspiriert, aber Rellstabs Gedichte eben auch.
Wer keine klassische Musik mag, der kann sich an dieser Stelle ja mal fragen, ob er all die Dichter kennt, die die Texte zu den Liedern geschrieben haben, die er mag. Da gibt es bestimmt auch große, die jeder kennt, und kleinere, an die man sich nicht erinnert; die Komponisten haben sich von beiden inspirieren lassen und die Qualität der Lieder (HipHop vielleicht ausgenommen) scheint darunter nicht zu leiden.
Und damit sind wir bei dem Grund, warum ich ihnen dies im Wort zum Sonntag erzähle. In den drei Lesungen für diesen Sonntag wird von der Wirkung gesprochen, das Leiden Jesu und seiner Auferstehung wirken: menschliche Schuld wird gesühnt und Herrlichkeit erreicht Christus dadurch, dass er sein Leben vertrauensvoll in die Hände des Vaters legt, komme, was da wolle; geschehe mit ihm, was auch immer die Bewohner Jerusalems ihm antun. Wenn sie, so hoffen die Christen, wie Christus am Kreuz, ihr Leben vertrauensvoll in die Hände des Vaters legen, werden sie auch auferstehen zum ewigen Leben.
Was ist das für ein Leben, das wir geben; was ist das für ein Leben, das wir erhalten? Gehöre ich mit meinem Leben zu den Besten der Besten, die auch kommende Generationen noch im Gedächtnis bewahren? In der Gemeinschaft der Kirche sind das nicht die großen Dichter, sondern die großen Heiligen, deren Gedenktage und -jahre wir feiern. Ihr Leben ist eine Inspiration für jedermann, der sie kennen- und unweigerlich schätzenlernt.
Gehört mein Leben, wenn ich es in die Hände des Vaters lege, zu den besten der besten? Ich habe da meine Zweifel, dass mein Leben eine Inspiration ist für jedermann, der mich kennenlernt. Schön wäre es für diese Erde, wenn unser aller Leben das beste vom besten wäre und jeden Menschen zur Heiligkeit inspirierte. So, wie es ist, habe ich nur manchmal diese Wirkung, und dann auch nur auf wenige. Doch genau hier setzt der Trost der Frohen Botschaft an, wie das letzte der trostreichen Geheimnisse vom Rosenkranz erinnert: Gott ist es, der alles vollenden wird; der mit mir Geschichte schreiben will und sie vollenden wird, wenn ich mein Leben in seine Hände lege.
So schon im Alten Testament, an das (erste Lesung) Petrus in seiner Rede in Jerusalem erinnert. Als er vom »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs« sprach, war allen Hörern klar: wir erinnern uns an diese Patriarchen nur, weil unser Gott, und das ist das Besondere an Ihm, sie erwählt hat, auf dass sie mit Ihm eine gemeinsame Geschichte haben. Weil sie bereit waren, ihr Leben in die Hände Jahwes zu legen, wurden sie zu Patriarchen.
Im Neuen Testament wird die Erwählung jedes einzelnen Menschen in »allen Völkern« als die Osterbotschaft von der Auferstehung zum ewigen Leben verkündet. Wenn wir unser Leben hier auf Erden in die Hände des Vaters legen, dann ist das nicht der Schlussstrich unter eine Lebensführung, die ewig halb und unvollendet bleibt. Sühne und Herrlichkeit, von denen wir an diesem Sonntag hören, erwachsen uns aus dem Selbstopfer Christi: aus seiner Menschwerdung durch das Wirken des Heiligen Geistes und aus allem, was er als Mensch an sich geschehen lässt, ohne sich dadurch von seiner Liebe zum Menschen oder zum Gott abbringen zu lassen. Wir dürfen daher auf die Kraft des Heiligen Geistes vertrauen, dessen Inspiration keine Grenzen kennt; die auch nicht an meinen persönlichen Grenzen scheitern muß.
Wenn schon ein Mensch wie Franz Schubert, ausgehend von Gedichten recht unterschiedlicher Qualität, einen einheitlich, herrlichen Zyklus vieler schöner Lieder schaffen konnte; wievielmehr wird der Dreifaltige Gott dem wenigen, was ich in seine Hände lege, durch seine Inspiration, eine herrliche Gestalt verleihen, die, wie es der heilige Paulus sagt, zusammen mit allen anderen in der Gemeinschaft der Heiligen leuchtet. Ostern bedeutet eben nicht nur, dass durch Christi Sieg über den Tod ein Tor zu endlosem Leben aufgestoßen worden ist; Ostern bedeutet auch, dass das Leben, das in die Hände des Vaters gelegt ist, verklärt wird, indem wir dem Leib Christi eingestaltet werden. Johannes sagt das so: »Wer sich aber an sein Wort hält, in dem ist die Gottesliebe wahrhaft vollendet.«

Artikel vom 29.04.2006