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»Nach Canossa
gehe ich nicht«

Klenke-Vortrag über Kulturkampf

Von Manfred Stienecke
(Text und Foto)
Paderborn (WV). Wie der »Canossa-Gang« zum polemischen Trotz-Symbol deutschnationaler Kräfte gegen die »römische Weltkirche« werden konnte, untersuchte Prof. Dr. Dietmar Klenke im vierten Canossa-Vortrag in Paderborn.

Im erneut überfüllten Audimax der Theologischen Fakultät zeichnete der Paderborner Historiker, der auch den Ausstellungsteil der dreiteiligen sommerlichen Canossa-Schau in der Städtischen Galerie mitverantworten wird, die Canossa-Rezeption im 19. und frühen 20. Jahrhundert nach. Vor allem in der Zeit des »Kulturkampfes« nach 1870 instrumentalisierten die Nationalliberalen in Preußen das Motiv des königlichen Kniefalls von Heinrich IV. vor Papst Gregor VII. im Jahr 1077 zu einem Symbol des universalen katholischen Herrschaftsanspruchs.
Treibende Kraft der Polemik gegen den Heiligen Stuhl war nach Ausführungen von Klenke das aufstrebende Bürgertum des 19. Jahrhunderts - wirtschaftlich unabhängig, national gesinnt und fortschrittsgläubig. Der Nationalstaat sei von ihren Vertretern als quasi gottähnliche höchste Instanz vergöttert worden - eine Entwicklung, die im Nationalsozialismus ihren Höhepunkt gefunden habe.
Zwischen die Fronten geriet in dieser Stimmungslage sogar Reichskanzler Otto von Bismarck, der vor dem Preußischen Reichstag 1872 das historische Ereignis selbst rhetorisch für sich genutzt hatte: »Nach Canossa gehen wir nicht!«, unterstrich er in einer eher untergeordneten Angelegenheit die preußische Unabhängigkeit gegenüber dem Päpstlichen Stuhl. Dieser oft zitierte Ausspruch wurde von nationalliberalen Kräften schon weniger Jahre später in einem Obelisken auf dem Burgberg der Harzburg in Stein gemeißelt zum trutzigen Bekenntnis der »Anti-Römlinge«. In bissigen Karikaturen musste sich der Reichskanzler nach seinem allmählich kirchenfreundlicheren Umschwenken später an seinen Ausspruch erinnern lassen.
Auch im »Kleinen Kulturkampf« der Wilheminischen Zeit nach 1900 gewann die Canossa-Metapher wieder an Bedeutung. So zeigte Klenke in seinem mit Text- und Bildprojektionen angereicherten Vortrag auf, wie die Reichstagswahl in einem nationalheroisch aufgeladenen Klima des Kolonialkriegs in Deutsch-Südwestafrika zur »Canossa-Wahl« wurde.
Am 16. Mai beschäftigt sich Elisabeth Handle mit Bischof Heinrich von Werl (1084-1127).

Artikel vom 29.04.2006