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Rollentausch der Geschlechter

Am Girls' Day schuppern Jungen und Mädchen in untypische Berufe hinein

Von Per Lütje (Text und Foto)
Löhne (LZ). Männer in klassischen Frauenberufen und Frauen in klassischen Männerberufen - diesen Rollentausch gibt es einmal im Jahr am »Girls' Day«. Schüler der fünften bis siebten Klassen durften gestern einen Tag lang in die Arbeitswelt des jeweils anderen Geschlechts hinein schnuppern.

Eine der vielen Firmen, die sich an dem Aktionstag beteiligten, sind die Panther-Werke am Alten Postweg. Die 140 Mitarbeiter des Unternehmens produzieren jährlich mehr als 100 000 Fahrräder und vermarkten diese im In- und Ausland. Von der riesigen Werkshalle zeigten sich die sechs Tagespraktikanten - fünf Mädchen und ein Junge - schwer beeindruckt. »Ich möchte hier auf jeden Fall später ein Praktikum machen«, war sich Lena Strunk nach einem Rundgang durch den Betrieb sicher.
Panther-Werksleiter Werner Wolff freut sich über das Interesse der jungen Leute: »Wir sind jederzeit gerne bereit, den Schülern ein Praktikum zu ermöglichen.« Und vielleicht springt später dabei auch ein Ausbildungsplatz heraus. »Darum geht es an diesem Tag aber überhaupt nicht«, betont Michael Sudhölter, Lehrer an der Bertolt-Brecht-Gesamtschule. »Die Jugendlichen sollen einfach mal die Möglichkeit bekommen, in die Arbeitswelt hinein zu gucken und kennenlernen, was ein Arbeitstag bedeutet.«
Monika Lüpke, die als Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Löhne, den Girls' Day koordiniert, hat vor allem die berufliche Zukunft der Mädchen im Blick. Diese seien gerade in naturwissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Arbeitsfeldern unterrepräsentiert. »Besonders in kleinen Handwerksbetrieben ist das Rollendenken noch stark ausgeprägt«, sagt sie.
Auf Vorbehalte stößt Lüpke bei den Unternehmen auch hinsichtlich des Alters der Girls-Day-Teilnehmer: »Viele halten Fünftklässler für zu jung. Aber gerade in diesem Alter sind die Mädchen völlig unbefangen, weil sie noch nicht mit Geschlechterklischees belastet sind.« Es gehe auch nicht darum, dass sich ein Mädchen nach diesem Schnuppertag bereits für einen Beruf entscheiden soll. »Aus Vorurteilen sollen Urteile werden - zum Beispiel, dass die Arbeit in einer Kläranlage gar nicht schmutzig ist und es dort nicht stinkt«, nennt Monika Lüpke ein Beispiel.
Gar keine Probleme mit Rollendenken hat Müslüm Cicec. Der Fünftklässler der Gesamtschule hatte sich als Schnuppertag den AWO-Kindergarten an der Goethestraße ausgesucht. »Meine Schwester macht hier ein Praktikum und meinte, ich solle es doch einfach mal versuchen.« Der Umgang mit den Kindern begeisterte den Schüler. »Es macht unheimlich viel Spaß. Ich kann mir auch vorstellen, später hier ein Praktikum zu machen.« Damit sei Müslüm eine absolute Ausnahme, sagt Kindergartenleiterin Karin Ahlmeyer. »Der Anteil an Männern in diesem Beruf ist sehr gering. Von den 102 Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt in Ostwestfalen werden gerade einmal sechs von Männern geleitet.« Als Grund für dieses Ungleichgewicht vermutet sie aber weniger Geschlechterklischess, sondern vielmehr die schlechte Bezahlung.
Monika Lüpke hofft, dass der bundesweite Aktionstag ein Stückchen dazu beiträgt, Vorurteile auf beiden Seiten - bei Schülern und Betrieben - ein wenig abzubauen. »Das geht nicht über Nacht. Aber ich wünsche mir, dass das regelmäßige Angebot des Girls' Days einen Schneeballeffekt auslöst.«

Artikel vom 28.04.2006