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Wenn sich die Seele auf Talfahrt befindet

»Wege aus der Depression« - 120 Besucher bei der Podiumsdiskussion der Hospizgruppe

Borgholzhausen (ka). Ein Patient erzählt Dr. Karin Hans, dass er kraftlos, konzentrationslos, schlaflos, gefühllos, entscheidungslos und hoffnungslos sei. Obwohl es im Beruf gut laufe und es der Familie gut gehe. Er verstehe dies nicht. Die Diagnose nach umfassenden Untersuchungen: Depression.

Mit diesem Fallbeispiel beginnt am Mittwochabend die Podiumsdiskussion »Weil jede Sekunde zählt - Wege aus der Depression« im DRK-Pflegeheim. Eingeladen hat die Hospizgruppe und stößt mit diesem Thema auf großes Interesse. Rund 120 Besucher diskutieren mit den Experten Dr. Karin Hans, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am St. Rochus-Hospital in Telgte, der Diplom-Psychologin Bärbel Neumann und Dr. Johannes Großelümern von der psychiatrischen und psychotherapeutischen Tagesklinik Halle. Es moderiert Christiane Schäfer.
Auf dem Podium sitzt mit Dieter Knostmann auch ein Betroffener. Der 57-Jährige ist Hauptschullehrer und stellvertretender Bürgermeister in Dissen. Er litt von 1996 bis 1998 unter Depressionen und befand sich deswegen 15 Monate in stationärer Behandlung im St. Rochus-Hospital in Telgte. »Ich war ein Mensch, der eigentlich nicht mehr da war«, beschreibt er seinen damaligen Zustand. Er habe sich zu viele Aufgaben sowohl im Beruf als auch in seiner Freizeit aufgebürdet, die für ihn zu einem unüberschaubaren Berg angewachsen seien. Vieles habe er zu nah an sich herangelassen, »sich zu sehr zu Herzen genommen«, so dass er auch Probleme mit dem Herzen bekommen habe.
Doch nicht nur der an einer Depression erkrankte Mensch leidet, wie Psychologin Bärbel Neumann weiß. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die Angehörigen und die Frage, wie sie mit der Erkrankung umgehen. Was tun, wenn man erkennt, dass man mit seinen Bemühungen, dem Menschen, den man liebt, zu helfen, nicht hilft? Neumann rät, sich kompetente Hilfe zu suchen. Dies hat auch die Familie von Dieter Knostmann getan, um die gemeinsame Leidenszeit zu überstehen.
Über Wege aus der Depression berichten die Mediziner Hans und Großelümern. So verschieden das Krankheitsbild von Fall zu Fall sei, so vielfältig und individuell seien die Therapien, sagen beide. Sie reichen von der medikamentösen Behandlung bis hin zur Psychotherapie und unterstützenden Maßnahmen. Depressionen können je nach ihrer Schwere stationär, in einer Tagesklinik oder ambulant behandelt werden.
Viele Besucher interessiert die Frage, ob die Krankheit vererbbar sei. Dr. Karin Hans antwortet darauf mit einem Nein: »Es besteht ein Risiko, aber das ist sehr gering.« Es kann also jeden treffen. Auch die Frage nach dem Warum wird beantwortet. Biologisch lasse sich eine Depression auch als eine Stoffwechselstörung des Nervensystems erklären, klärt die Fachärztin auf. Psychologisch und sozial würden sich Depressionen in schädlichen Kindheitsverhältnissen oder durch ständige Überforderungen oder schwerwiegende Verluste begründen.
In seiner Therapie, einer Mischung aus Elektrokrampf- und Psychotherapie, hat sich auch der Pädagoge Knostmann auf die Suche nach den Gründen gemacht und spricht ganz offen über seine Zeit in der »Klapse«: »Ich habe den Weg aus der Depression gefunden, weil ich zwei Ziele hatte. Ich wollte zurück zu meiner Familie und zurück in meinen Beruf.« Das hat er geschafft. Der 57-Jährige hat die Krankheit als Chance gesehen, sein Leben neu zu definieren. Depression ist heilbar, vielleicht sogar heilsam. Aber das ist eine andere Frage.

Artikel vom 28.04.2006