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Ein zweiter Geburtstag

Marieke schreibt in einem Brief, wie es ihr geht

Altkreis Lübbecke/Brockum (WB). Die an Leukämie erkrankte Marieke aus Brockum hat viel Hilfe aus dem Altkreis erhalten. Jetzt schreibt sie in einem Brief, wie es ihr in der Zwischenzeit ergangen ist:
»Lange Zeit habt Ihr nichts von mir gehört und ich möchte Euch kurz berichten, wie es mir in der Zwischenzeit ergangen ist.
Ich war selber völlig ÝbaffÜ, dass so schnell ein passender Spender für mich gefunden wurde. Am Sonntag, 26. März, hieß es dann also wieder Koffer packen, denn die Aufnahme auf der KMT-Station stand an. Mir fiel der Abschied von zu Hause dieses Mal besonders schwer, weil ich wusste, es ist für länger. Die Aussicht, die kommenden sechs bis sieben Wochen auf der Isolierstation zu verbringen, stimmte mich nicht gerade heiter. Somit war mir mulmig im Magen, als ich im Auto saß und wir wieder mal Richtung Münster fuhren.
Schon am kommenden Tag, wurde mit der ersten Bestrahlung begonnen. Es folgten weitere am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, jeweils zwei mal täglich. Diese Photonenstrahlen sollten mein eigenes, krankes Knochenmark zertrümmern, und sie haben ganze Arbeit geleistet. Ich habe sie in ganz böser Erinnerung, denn anschließend tat alles weh und mir war nur noch schlecht. Es folgten drei Tage starke Chemo und anschließend ein Tag Pause, damit sich mein Körper etwas erholen konnte. In den folgenden Tagen, konnte man beobachten, wie rasch sich meine Werte veränderten. Die Leukos und Thrombos rauschten nur so runter und am 2. April waren sie dann auch komplett auf null. Das hieß für mich: »Ich habe kein Immunsystem mehr.« Wenn ich jetzt keine Spende bekommen würde, müsste ich sterben. Ich hörte sofort wieder auf, darüber nachzudenken.
Dann war es endlich soweit! Am Dienstag, 4. April, war mein großer Tag, die Transplantation. Ein superschönes Datum dachte ich mir, das kann man sich später gut merken. Ist ja quasi mein zweiter Geburtstag.
Gegen 13.30 Uhr kam der Oberarzt persönlich und stöpselte mir das Transplantat an. Es war ein ganz schön komisches Gefühl, als das fremde Knochenmark da im Schlauch auf mich zurauschte. Ich dachte an den netten Menschen, der bereit war, für mich zu spenden und hatte das Gefühl, für einen Moment müsste die Welt stillstehen und vor meinem Zimmerfenster müsste ein Riesenböller explodieren. Aber nichts passierte. Ich war ein bisschen enttäuscht. Nach einer Stunde wurde ich wieder abgestöpselt und das war's.
Nun hieß es also wieder warten. Die neuen Zellen mussten sich ihren Weg in meinem Körper suchen und jede musste ihren ganz speziellen Platz finden, sich dort wohl fühlen und dann nach Möglichkeit ruck-zuck vermehren. Den Tag der Transplantation nennt man den Tag »Null« und von da an wird aufwärts gezählt.
Die kommenden Tage waren nicht so schön. Meine Schleimhäute lösten sich auf und ich konnte weder essen noch trinken und auch sprechen ging nicht mehr. Der ganze Mund und die Speiseröhre waren kaputt. Am Tag neun dann die erste Besserung, ich konnte wieder einen Schluck trinken. Die Ärzte sagten, dass ist ein gutes Zeichen, denn wenn der Mund wieder anfängt zu heilen, kommen auch die Leukos.
Aber eines habe ich durch meine Krankheit gelernt: »Das Warten.« Am Tag 15, 19. April, bekam ich die freudige Nachricht, dass die ersten 300 Leukos zu erkennen sind und einen Tag später waren es sogar schon 500. Die habe ich mir aber auch hart erkämpfen müssen. Wenn die Leukos drei Tage bei 1000 liegen und es mir gut geht, darf ich das erste Mal die Nase aus der Tür halten und auf dem Flur spazieren gehen. So hangle ich mich zurzeit von einem Ziel zum nächsten. Kleine Schritte, große Wirkung.
Doch im Moment liege ich leider noch abgeschottet in meinem Bett und darf es auch nicht verlassen. Vor meinem Zimmer ist noch ein Raum, der nennt sich Schleuse. Dort stehen alle Apparaturen und Monitore, die mich betreuen. Durch die Wand geht ein kleines Loch und da kommen die sechs Schläuche durch, an die ich verkabelt wurde und durch die ich meine Medikamente und Nahrung erhalte. Alle, die mein Zimmer betreten, müssen blaue Schutzkleidung und einen Mundschutz tragen und sich vorher desinfizieren. Mama ist immer bei mir und jeden zweiten Tag kommt Frank und versorgt mich mit Zeitschriften und allem, was das Leben hier erträglicher macht. Am Wochenende besuchen mich Oma und Opa und in den Osterferien hat mein Bruder Matthies ein Mal bei mir übernachtet, das war cool. Ansonsten kann ich fernsehen, spielen oder basteln, aber dafür bin ich im Moment einfach noch zu schlapp und schlafe sehr viel.
Eigentlich sind für den Aufenthalt auf der KMT-Station etwa sechs bis sieben Wochen geplant. Ich will es natürlich eher schaffen. Zur Oberärztin habe ich schon gesagt, dass ich das Kalenderblatt vom April noch voll mache, aber dann nach Hause möchte. Fünf Wochen sollten reichen. Sie hat gezwinkert und das heißt für mich: »Sie ist einverstanden.«
Viele, liebe Grüße Euch allen aus Münster, Eure Marieke.«

Artikel vom 28.04.2006