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Die Kolumne Stadtgespräch erscheint mittwochs in dieser Zeitung.

Stadt
Gespräch

40 Jahre am »Katzentisch« (169. Folge): Uni bescherte 20 »Goldjahre«


Es war am späten Nachmittag des 27. April 1971, als die Meldung über den Agentur-Ticker kam: Das Düsseldorfer Kabinett hatte die Gründung fünf neuer Universitäten als Gesamthochschulen beschlossen. Paderborn, 1966 im Ringen um den Standort der ostwestfälischen Universität noch Bielefeld unterlegen, konnte Hochschultradition fortsetzen.
Schon 1946 war in der Paderstadt ein Universitätsausschuss gegründet worden. Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg hatte 1614 hier eine Universität mit theologischer und philosophischer Fakultät gegründet; sie bestand als einzige westfälische Hochschule mit Promotionsrecht bis 1818.
Einen wichtigen Hinweis gab der damalige Kultusminister vonNordrhein-Westfalen Prof. Schütz 1961 anlässlich eines Empfangs im Paderborner Rathaus: »Bemühen Sie sich um eine Ingenieurschule als Ergänzung.« Schon zwei Jahre später hatte Paderborn die Ingenieurschule für Maschinenwesen. Seit 1946 gab es bereits eine Pädagogische Akademie für Lehrerbildung.
Durch die Wahl Bielefelds zum Uni-Standort ließen sich die Paderborner nicht entmutigen: 1970 kamen eine Höhere Wirtschaftsfachschule (Ellen Rost, FDP) und das Entwicklungszentrum für Lehr- und Lernverfahren (Landrat und CDU-MdL Joseph Köhler) als weitere örtliche Studienangebote hinzu.
1969 war der gebürtige Elsener und Düsseldorfer Spitzenbeamte Wilhelm Ferlings als zunächst II. Stadtdirektor nach Paderborn gekommen. Er gewann Prof. Paul Mikat, der als CDU-Kultusminister drei Jahre zuvor Bielefeld den Vorzug vor Paderborn gegeben hatte, als Verbündeten für das große Anliegen. Beim neuen Vorstoß zogen die Paderborner eine Linie durch Nordrhein-Westfalen von Münster bis Siegen. Östlich davon gab's nur die Bielefelder Universität. Eine neue Denkschrift wurde verfasst. Geeignete Standorte: »Dören« zwischen Detmolder und Driburger Straße, die Fläche an der B 1 unterhalb des Wartheberges und der heutige Campus an Warburger Straße und Pohlweg.
Viele Aktivitäten unterstützten das Anliegen: Buchhändler Aloys Kamp gab auf eigene Kosten eine Denkschrift heraus, der heimische Bundestagsabgeordnete Dr. Rainer Barzel machte mit als CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag beim Griff nach den Uni-Sternen. Grundstücke für Professoren wurden in Neuenbeken, Dahl und Wewer vorgestellt. Die Kleingärtner waren bereit, ihre landesweit preisgekrönte Anlage »Fernblick« einzutauschen gegen einen Standort am Dahler Weg.
Am 27. April 1971, meinem Geburtstag, war das Ergebnis auf dem Tisch. Es läuteten zwar keine Glocken, aber Stadtdirektor Wilhelm Ferlings und ich gönnten uns eine Flasche Wein. Bürgermeister Herbert Schwiete wurde unterrichtet und frohlockte: »Wir sind jetzt auf dem Weg zum dynamischen Oberzentrum«. Mein Kommentar war nicht zu überschwenglich: »Eine Jahrhundert-Entscheidung!«
Das schwarze Paderborn wurde für den SPD-Ministerpräsidenten Heinz Kühn, der mich im Rathaus schon als »Genosse Vockel« begrüßt hat, zum liebsten der »nicht roten Kinder« in NRW. Seine Minister förderten Bemühungen der Stadt durch dicke Zuschüsse. In den zwei goldenen Jahrzehnten nach der Universitätsgründung wurden viele Planungen wahr: Autobahnen, Umgehungsstraßen, Padersee, Schwimmoper, Sporthalle, Stadthalle, Innenstadt mit Tiefgarage und Fußgängerzonen, Arosa, Klingenthal, Dany, C & A, Diözesanmuseum und Kaiserpfalz. Dazu Kreishaus, Finanzamt, Arbeitsamt, Gebäude der Universität, des Studentenwerkes, Neun-Loch-Golfplatz, neue Volksbank mit den Kammerspielen und Sparkassenzentrale.
Eine Einladung zur Eröffnung der Gesamthochschule - die Bezeichnung »Universität« kam vor neun Jahren - habe ich aufbewahrt: Johannes Rau, damals NRW-Wissenschaftsminister, später Ministerpräsident und dann Bundespräsident in Berlin, bat am 4. August 1972 zum Festakt ins Gymnasium Theodorianum und Empfang ins Rathaus. Bei der Gelegenheit haben Stadtdirektor Ferlings und ich die zweite Flasche Wein auf unsere Universität geleert. Georg Vockel

Artikel vom 26.04.2006