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Von Stephan Rechlin

Gütersloher
Wochenschauer

Kritik aus Düsseldorf


In der markanten Kritik des Düsseldorfer Projektentwicklers Jürgen Overdiek an der Stadtverwaltung schwingt jede Menge Geschäftsinteresse mit. Seine Bemerkung vor Ratsmitgliedern, dass sich ein renommiertes Unternehmen wie »Kai 18« ohne den verwandtschaftlichen Kontakt zum Vorstandsvorsitzenden der Pfleiderer AG wohl kaum nach Gütersloh verirrt hätte, offenbart eine der Sache eher schädliche Arroganz.
Ohne die Werksschließung samt Massenentlassung durch die Pfleiderer AG hätte Gütersloh auch kein Problem mit einer drohenden Industriebrache Außerdem verirren sich inzwischen noch ganz andere Investoren nach Gütersloh, weil die Kaufkraft hier überdurchschnittlich hoch ist und ernsthafte Renditen nur noch in den Mittelzentren zu erwarten sind.
Jenseits der geschäftlich motivierten Kampfrhetorik aber spießt Overdiek mit seiner Kritik tatsächlich eine gravierende Schwäche der Gütersloher Stadtplaner in Rat und Verwaltung auf. Wohlwollend könnte man sie als »Neigung zur Träumerei« umschreiben. Ein Kreditsachbearbeiter würde sie als Realitätsverlust bezeichnen. Dazu zählt etwa der Einfall, ein riesengroßes Kulturzentrum samt Theater auf dem Areal einplanen zu lassen, ohne dass dessen Finanzierung und Folgekosten berechnet, geschweige denn gesichert worden wären. Oder die Idee, ein »Talentarium« dort anzusiedeln, in dem junge Menschen ihre Begabungen in aller Ruhe erforschen können. Prima Idylle, aber wer kommt inzwischen für die Miete auf? Demnächst dürfte wahrscheinlich der Vorschlag kommen, eine Großdisco dort bauen zu lassen, weil der Gütersloher Jugend lange Fahrtwege in die Nachbarstädte nicht zuzumuten sind.
Neues Leben wird es auf dem Pfleiderer-Areal nur geben, wenn es eine Chance gibt, die immensen Abbruch- und Erschließungskosten wieder hereinzuholen. An dieser schlichten Erkenntnis werden die Stadtträumer nicht herumkommen.

Artikel vom 22.04.2006