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Bemessungsgrundlage ist »ungerecht«

Hartz-IV-Empfänger Heike und Heinz Wilkening streiten mit Behörden vor dem Sozialgericht

Kreis Minden-Lübbecke/Hille/Frotheim (fq). Wenn Menschen plötzlich arbeitslos werden, ändert sich alles -Êder Lebensrhythmus, die finanzielle Situation, das seelische Wohlbefinden.

Der Mensch ist plötzlich auf die finanzielle Hilfe des Staates angewiesen. Doch wenn selbst die nicht mehr gegeben ist, wird die Belastung um ein Vielfaches höher. Heinz und Heike Wilkening sind in einer solchen Lage.
Sie wohnen in Hille-Neuenbaum, nahe der Grenze zu Frotheim. 35 Jahre lang hat der 53-jährige Heinz Wilkening als kaufmännischer Angestellter gearbeitet, bis er vor drei Jahren arbeitslos wurde. Alle Versuche, einen neuen Job zu finden, schlugen fehl. Seine 43-jährige Ehefrau Heike Wilkening war immer Hausfrau. 889,78 Euro stehen den beiden als Hartz IV-Empfängern monatlich zu. Doch auch diese Unterstützung ist gefährdet. Denn laut Bemessungsgrundlage des Kreises wohnen sie in einem Haus, das für die beiden zu groß ist. »Erlaubt sind 130 Quadratmeter Wohnfläche für das Haus und 800 Quadratmeter für das Grundstück«, so Heike Wilkening.
Das 1934 von Heike Wilkenings Großvater erbaute Haus weist aber mit 1000 Quadratmeter und einer Wohnfläche von 184 Quadratmetern zu viel Fläche auf. Daraufhin verlangten die Behörden von dem Ehepaar, dass sie das Haus verkaufen, umziehen und das Vermögen verleben. Denn alles was über die Bemessungsgrundlage hinaus geht, gilt als nicht mehr geschütztes Vermögen. Ihr Haus zu verlassen - für Heinz und Heike Wilkening undenkbar. Und schließlich wurde ein entscheidender Punkt von den Behörden übersehen. Im Erdgeschoss des Hauses wohnt Erna Fischer, die Schwiegermutter von Heinz Wilkening, der 1991 lebenslanges Wohnrecht als »Altenteil« überschrieben wurde. Die Wohnung von Erna Fischer hat mehr als 70 Quadratmeter. Somit bleibt den Wilkenings etwas mehr als 100 Quadratmeter.
Und die Bemessungsgrundlage für ein ländliches Grundstück auf 800 Quadratmeter festzusetzen empfindet Heinz Wilkening schlichtweg als »Ungerechtigkeit«. »Im ländlichen Gebiet gibt es solche kleinen Grundstücke gar nicht.« Also zogen die beiden vor das Sozialgericht Detmold. Und in einem ersten Beschluss entschied das Sozialgericht, dass das Hausgrundstück derzeit wirtschaftlich keinen Wert hat. Ein Verkauf lohnt sich daher nicht. Denn nach den Feststellungen des Gutachterausschusses des Kreises belaufe sich der Wert des Grundstücks auf 100 000 Euro. »Davon müssen aber 24 000 Euro als Hypothek abgezogen werden«, erläutert Heike Wilkening das Urteil.
Hinzu kommt noch das auf dem Haus liegende Altenteil das mit einem Wert von 6 552 Euro jährlich angesetzt wurde. Dieser Betrag wurde mit der statistischen Lebenserwartung von Schwiegermutter Erna Fischer -Ê angenommene 19 Jahre -Êmultipliziert und heraus kam eine Belastung von insgesamt 124 000 Euro.
Seit Juli des vergangenen Jahres kämpfen die Wilkenings um ihr Zuhause und um ihre Zukunft. »Gegen den vorläufigen Beschluss legt der Kreis keinen Widerspruch ein«, so Heinz Wilkening. Das Hauptverfahren vor dem Gericht Detmold läuft aber noch.
Heike und Heinz Wilkening sind verzweifelt. Sie haben beide ein Leben lang so sparsam gelebt. Vieles in ihrem Haus und der Inneneinrichtung haben sie selber gemacht. Reparaturen nehmen sie selbst vor. Den beiden bleiben gerade einmal 200 Euro monatlich für Essen, Kleidung und Körperpflege. Und jetzt soll ihnen das Haus genommen werden. Sogar den SPD-Bundestagsabgeordneten Lothar Ibrügger hat das Ehepaar schon eingeschaltet. Das es einmal so weit kommen würde, hätten die beiden nie gedacht. Aber sie wollen für ihr Haus kämpfen. »Wir haben hier so viel Arbeit reingesteckt«, so Heinz Wilkening. Der Kreis hat auf Anfrage keinen Kommentar mit Hinweis auf das laufende Verfahren gegeben.

Artikel vom 22.04.2006