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Das Misstrauen saß
mit am Familientisch

Hermann Wollschläger schreibt über Krieg und Diktatur

Von Hartmut Horstmann
Herford (HK). Vor mehr als sechs Jahrzehnten ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Die Zahl der Zeitzeugen wird immer geringer, doch das Bedürfnis nach Aufarbeitung in Form von Büchern und TV-Produktionen scheint ungebrochen. In diesem Zusammenhang sei ein mittlerweile vergriffenes Buch erwähnt, welches ein früherer Herforder Pfarrer verfasst hat: »Feldmaus sucht ihr Schlupfloch« von Hermann Wollschläger.

Der Name Wollschläger genießt unter Literaturinteressierten einen hohen Bekanntheitsgrad, denn Hermann Wollschlägers Sohn Hans war es, der als Ulysses-Übersetzer in den 70-er Jahren für Furore sorgte. Mittlerweile ist es um den heute 71-jährigen Autor, Essayist und Übersetzer nicht zuletzt krankheitsbedingt ruhiger geworden.
Als Hans Wollschläger 1935 geboren wurde, war sein Vater als Pfarrer in Minden tätig. In die Stadt Herford zog die Familie, nachdem Hermann Wollschläger im September 1936 in die neu gegründete dritte Pfarrstelle an St. Marien Stiftberg berufen worden war. Bis zu seiner Verabschiedung Ende 1955 blieb der Geistliche der Werrestadt verbunden. Doch was bedeutet Verbundenheit in einer Zeit, in der Hitler-Deutschland die Welt zum Explodieren brachte, in einer Zeit, in die für Wollschläger Einberufung, Kriegsteilnahme und Verwundung fielen? Von einer Kontinuität lässt sich nicht sprechen, und doch gebe es auch heute noch Herforder, die sich an seinen Vater erinnerten, verrät Hans Wollschläger.
»Ein Seelsorger erlebt den Krieg«: Diesen Untertitel trägt das Buch, das 1976 im Aussaat-Verlag erschien. Mit großer Eindringlichkeit beschreibt der Autor die Kriegserfahrungen der Jahre 1942 bis 1945, die Hermann Wollschläger überwiegend an der Ostfront gesammelt hat. Zwei Mal erzählt er von Heimaturlauben in Herford - schonungslos und für Nicht-Zeitgenossen aufschlussreich seine Erinnerung an einen Herford-Aufenthalt nach dem 20. Juli 1944, als sich der Nazi-Terror noch mehr verschärfte: »Das Misstrauen saß mitten in den Familien: Was durfte ein Vater, beim abendlichen Biere die Zeitung kommentierend, noch zu sagen riskieren, wenn seine BDM-Tochter mit am Tische saß? In vielen Familien verstummte das Gespräch - aus Angst! Und genauso war es in den Vereinen, bei den Stammtischen, auch in den Presbyterien. Freund- und Nachbarschaften zerbrachen daran.«
Wer deutliche Worte wählte, wer die Wahrheit unverblümt aussprach, riskierte sein Leben. Die Folge für diejenigen Kirchenvertreter, welche Diktatur und Leid nicht einfach ignorieren oder schönreden wollten: »Zwischen Gemeinden und den Pfarrern hatte sich eine Art Chiffrensprache herausgebildet, die geübt sein wollte. Die Pfarrer sprachen von Nebukadnezar, dem vom Himmel her ein Steinchen auf die tönernen Füße seines Standbildes fiel und es zerbrach. Die Gemeinde verstand!«
Den größten Teil des Buches bilden die Erlebnisse an der Ostfront. Der Autor mag am Krieg nichts Heldenhaftes entdecken, weigert sich, die Offizierslaufbahn einzuschlagen, stellt sich immer wieder die Gewissensfrage nach der Kriegsteilnahme überhaupt. Eigentlich hätte er doch gar kein Soldat werden dürfen, schlussfolgerte ein Feldwebel, nachdem er von Hermann Wollschlägers Ablehnung von Nazi-Oberen und Krieg erfahren hatte. Der Geistliche schreibt: »Es gibt Christen, die diese Konsequenz ziehen. Ich konnte sie für meine Person nicht ziehen. Staat ist nicht gleich Volk. Ich glaube nicht, dass ein Pastor oder ganz allgemein ein Christ sich dem Schicksal entziehen sollte, dem das ganze Volk unterworfen wird.« Der Pastor sieht sich auf der Ebene der Gemeindemitglieder, die ebenfalls dem Gesetz gehorchen: »Das ist etwas anderes, als wenn man in führender Position, also als Offizier, dieses Gesetz selbst handhabt statt es zu erleiden.«
Die Feldmaus-Position, die Hermann Wollschläger einnimmt, unterscheidet sich wohltuend vom literarischen Kriegsheroismus eines Ernst Jünger. Es geht nicht um Effekthascherei, es geht um Ehrlichkeit. Hans Wollschläger, der in der Nähe von Bamberg lebt, sagt über seinen 1987 in Bonn gestorbenen Vater: »Er war der Friedfertigste aller Menschen überhaupt, und der Wehrdienst hat ihn aufs Tiefste verletzt und fürs Leben verstört. Er hat mit uns über den Krieg gesprochen, aber das Eigentliche und Schreckliche davon blieb in ihm verschlossen.«

Artikel vom 24.04.2006