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Der Paderborner Rechtsanwalt Andreas Carl kritisiert medizinische Mängel im Strafvollzug.

Tod hinter Gittern: Zwei Gefangene starben in Haft

Rechtsanwalt Carl erhebt Vorwürfe gegen Anstaltsärzte

Von Hubertus Hartmann
Espeln (WV). Nach einem Todesfall in der JVA Espeln, einer Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Senne, erhebt der Paderborner Rechtsanwalt Andreas Carl schwere Anschuldigungen gegen die Anstaltsärzte. Er wirft ihnen eine »kapitale Fehldiagnose« vor.

Detlev C. (49), eine schillernde Figur in der Paderborner Rotlichtszene, lebt nicht mehr. Der Dreizentner-Mann brach am Karfreitag, kurz nach seiner Verlegung aus dem geschlossenen in den offenen Vollzug, um 11.24 Uhr auf dem Flur der Justizvollzugsanstalt zusammen. Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Eine von der Staatsanwaltschaft Paderborn angeordnete Obduktion ergab als Todesursache Herzversagen.
C. verbüßte in der Außenstelle der JVA Senne eine vierjährige Freiheitsstrafe und wäre erst im August 2008 entlassen worden. »Aus meiner Sicht war er viel zu krank für den Strafvollzug«, sagt Carl. Sein Antrag auf Haftverschonung und Einweisung in ein ziviles Krankenhaus wurde allerdings erst vor wenigen Wochen abgelehnt.
Dabei hatte der Anstaltsarzt in Brackwede dem Gefangenen noch im September vergangenen Jahres »eine Vielzahl gravierender Erkrankungen« bescheinigt. Diese hätten bereits vor der Inhaftierung »zu teilweise akut lebensbedrohlichen Zwischenfällen geführt«. C. war deshalb nicht arbeitsfähig und durfte auch keinen Sport treiben.
Trotz der Erkrankungen, »die jederzeit - in Haft wie in Freiheit - einen akut lebensbedrohlichen Verlauf nehmen könnten«, sei der Patient aber haftfähig, meinten die Verantwortlichen. Wörtlich heißt es in einer Stellungnahme der JVA Brackwede I vom 10. Januar 2006 an die Staatsanwaltschaft: »Die dann erforderliche sofortige ärztliche Versorgung ließe sich im Vollzug wohl eher herbeiführen als in Freiheit, da hier eine 24 Std-Anwesenheit staatlich examinierter Krankenpfleger / -schwestern besteht«.
Nach Aussage eines Mithäftling lässt die medizinische Versorgung in den Außenstellen der JVA Senne - die insgesamt 1323 Haftplätze verteilen sich auf 16 Haftanstalten - angeblich, zumindest teilweise, zu wünschen übrig. »Der Arzt lässt alle gegen die Wand laufen«, sagte der Informant wörtlich.
Ein Vorwurf, den Anstaltsleiter Rolf-Joachim Roth zurückweist. Eigene Ärzte gäbe es zwar nicht, doch man arbeite in den Außenstellen mit Vertragsärzten zusammen, erklärte Roth und versicherte: »Ich meine schon, dass die ärztliche Versorgung ganz gut gewährleistet ist«. Zum Fall Detlev S. meinte der JVA-Chef: »Wenn Zweifel an seiner Haftfähigkeit bestanden hätten, wäre er nicht von Brackwede nach Espeln verlegt worden«.
Bereits am 7. April hatte es in Herzebrock-Clarholz, einer anderen Außenstelle der JVA Senne, einen ähnlichen Todesfall gegeben. Dort war ein 42-jähriger Strafgefangener auf der Toilette gestorben. Todesursache laut Obduktion: Herzinfarkt.
Rolf-Joachim Roth spricht von einem zufälligen zeitlichen Zusammenhang. Eigentlich seien Todesfälle in der JVA Senne eher selten.
In beiden Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft. »Wenn jemand in staatlichem Gewahrsam verstirbt, ist das üblich«, erklärte der Paderborner Staatsanwalt Ralf Vetter.

Artikel vom 21.04.2006