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Die Neuhäuser
Geschichte auf
Glasplatten

Negative aus dem Atelier Herber

Paderborn (WV). Einen erstklassigen Neuzugang konnte jüngst das Stadtarchiv Paderborn verzeichnen. 63 Glasplattennegative aus dem Atelier Herber in Schloß Neuhaus, entstanden zwischen 1920 und 1925, fanden ihren Weg in die Fotosammlung der Stadt.

Durch Vermittlung von Ortsheimatpfleger Michael Pavlicic und dem Leiter des Historischen Museums im Marstall, Dr. Norbert Börste, kamen Josef und Maria-Theresia Reineke auf die Idee, die Platten im Format von 10 mal 15 Zentimetern dem Stadtarchiv zu schenken und so ein wertvolles Stück Ortsgeschichte für künftige Generationen zu bewahren. Die Platten stammen aus der Schusterwerkstatt seines Vaters Heinrich, der auch Küster an der katholischen Pfarrkirche St. Heinrich und Kunigunde war. Dessen Vater, also Großvater Josef Reineke, war ebenfalls Schuster in Neuhaus. Die Werkstatt stand in der Nähe der Gaststätte »Zur Linde« in der Sertürnerstraße. Vater Heinrich Reineke besohlte hier unter anderem die Stiefel der Kavallerieoffiziere, die in Neuhaus stationiert waren. Dabei benutzte er in den 1920er und 30er Jahren Fotoglasplatten als Messerersatz, um die überstehenden Sohlenreste abzuschneiden.
Der Photograph Wilhelm Herber wurde vermutlich am 18. Februar 1857 in Bridgeport, USA, geboren, wie 1886 auch seine erste Tochter Wilhelmine, die später ebenfalls Photographin wurde. Noch im selben Jahr siedelte die kleine Familie, dem damaligen Auswanderertrend Europas entgegenlaufend, nach Deutschland aus und kam über den Niederrhein 1903 nach Schloß Neuhaus. Im Stadtarchiv Paderborn ist Wilhelm Herber mit einer Ansichtskarte aus diesem Jahr nachweisbar. Herber wurde einer der drei großen Photographen in der Sennegemeinde neben Hermann Wolf und August Münzberg in Sennelager. Das Atelier befand sich in der heutigen Bielefelder Straße Nr. 2, direkt an der Lippebrücke.
Hier meldete auch Wilhelms Tochter Wilhelmine 1919 ein Atelier an. Wilhelm verließ Neuhaus 1921, kehrte aber zwei Jahre später wieder zurück. Im Alter von 65 Jahren wird er seine Tochter vielleicht noch unterstützt haben.
Wilhelmine muss eine energische und durchsetzungsfähige Frau gewesen sein. Zwar war ab 1890 der Anteil von Frauen unter den selbstständigen und angestellten Photographen merklich gewachsen, doch blieb er noch immer klein. Obschon Wilhelmine zeitweise andere Photographen in ihr Atelier aufnahm, wird sie selbst weiter als Photographin gearbeitet haben. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg meldete sie ihr Gewerbe wieder an, allerdings wurde das Tageslichtatelier im ersten Obergeschoss durch Kriegseinwirkung zerstört. Am 23. Oktober 1966 starb Wilhelmine im Alter von 81 Jahren in Schloß Neuhaus, nachdem sie auch in anderen Orten geschäftlich, aber nicht als Photographin tätig war.
Die vermutlich letzten Glasplatten aus dem Atelier Herber, teils in hervorragender Qualität, teils bereits zerstört, sind nun gesäubert und archivgerecht konserviert und werden so die nächsten Jahrhunderte im Stadtarchiv Paderborn überleben. Bei ihnen handelt es sich meist um Aufnahmen von Reichswehrsoldaten (teils mit Privatpersonen), wenigen Bürgerschützen sowie Familien und Privatpersonen. Atelieraufnahmen sind leider nicht dabei. Da sie auf Anfang bis Mitte der 1920er Jahre datiert werden, stammen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit von Wilhelmine, nicht von Wilhelm Herber.

Artikel vom 20.04.2006