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Drei Maurer schicken »Flaschenpost«

Mit langer Pinzette und viel Geduld: Küster öffnet das Fundstück aus der Kirchenwand

Steinhagen (anb). Das Geheimnis der Flasche ist gelüftet: Über Ostern ist Küster Horst Bartelniewöhner dem rätselhaften Fundstück aus der Wand der Dorfkirche auf den Grund gegangen. Mit einer langen Pinzette, viel Fingerspitzengefühl und reichlich Geduld hat er das Schriftstück geborgen - eine Liste mit drei Namen: August Brinkmann, August Bunte, Robert Pollvogt, Maurergesellen.

Ein schöner Sommertag im Jahr 1901 oder 1902, kurz vor Ende der Bauarbeiten: Die drei Arbeiter sitzen mittags auf dem Gerüst, haben ihr Wurstbrot gegessen, Sprudel getrunken, die Sonne scheint ihnen auf den Bauch . . . Und sie beschließen, sich für die Nachwelt zu verewigen. Der Bleistift wird gezückt, das Butterbrotpapier glattgestrichen - die drei schreiben Namen und Beruf auf und kritzeln eine Girlande drumherum. Der Rest Selters wird aus der Flasche geschüttelt, das Papier zusammengefaltet und in die Flasche geschoben, alles säuberlich mit Kork verschlossen und in der Lücke im Mauerwerk, der Aussparung für den Hebelstein, versenkt. So könnte es gewesen sein. »Eine Bierlaune mit einer Seltersflasche eben«, kommentiert Horst Bartelniewöhners Ehefrau Cornelia den Fund. Ein Jux, den hatte ihr Mann ja auch schon vermutet.
Dennoch ein wertvoller und vor allem spannender Fund: »Eine Flaschenpost aus der Vergangenheit«, sagt Innenarchitekt Lutz Schröder, Mitglied des Bauauschusses der Ev. Kirchengemeinde. Denn bei aller Spekulation - soviel ist sicher: Flasche und Inhalt, die von Maurer Frank Ostholthoff jetzt bei den Sanierungsarbeiten entdeckt wurden (wir berichteten am 12. April), können nur vor 100 Jahren, als die Dorfkirche um das Querschiff erweitert wurde, hinter den Hebelstein in der Sandsteinfassade gekommen sein. Denn seitdem waren die Fugen verschlossen. Offiziellen Charakter hat der Zettel jedenfalls nicht: »Es gibt kein Datum, keine Angaben über weitere Arbeiter und den Polier. Offizielle Schriftstücke hinterlässt man auch eher an anderer Stelle. In der Dorfkirche etwa in der Goldkugel unter dem Wetterhahn«, schildert der Küster.
Doch offenbar war es den drei Maurergesellen wichtig, ihre Mitarbeit am Kirchenbau festzuhalten. Vielleicht kamen sie aus Steinhagen. Lutz Schröder: »Und vielleicht gibt es ja Nachfahren, die uns Aufschluss geben könnten.« Horst Bartelniewöhner würde - nach Abstimmung mit dem Presbyterium natürlich - eine neue Flasche und ein neues Schriftstück ins Mauerwerk einsetzen. Das Fundstück selbst sollte ins Historische Museum.
Das Interesse an dem »Schatz« aus der Kirchenwand ist in der Gemeinde groß. Vielfach ist der Küster über Ostern angesprochen worden. Und etliche Gemeindeglieder wussten auch Genaueres über die merkwürdige Flasche mit verengtem Hals und Glaskugel zu berichten. Die Kugel nämlich diente als Verschluss, der durch die Kohlensäure im Selters nach oben in den Hals gedrückt wurde. Zum Trinken drehte man die Flasche ein wenig, so dass die Kugel von einer Engstelle im Flaschenhals gehalten wurde.

Artikel vom 19.04.2006