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Alle lernen voneinander

Integrative Erziehung in der Kindertagesstätte St. Franziskus

Von Elke Hänel
Verl (WB). Aus allen Gruppenräumen strömen die Kinder herbei. Es ist Zeit für den Singkreis in der St. Franziskus-Kindertagesstätte, und weil Ostern vor der Tür steht, bilden die Mädchen und Jungen einen Kreis um eine brennende Kerze und etwas Osterdekoration. Eine Szene wie in jedem anderen Kindergarten auch? Nicht ganz.

Denn in der Einrichtung an der Lindenstraße gibt es neben einer herkömmlichen Kindergartengruppe zum einen auch eine kleine altersgemischte Tagesstättengruppe, in der 15 Kinder zwischen vier Monaten und sechs Jahren betreut werden. Und zum anderen gibt es zwei integrative Gruppen, in denen jeweils fünf Plätze für Kinder mit Behinderungen, Entwicklungsverzögerungen, Verhaltensstörungen oder ähnlichem zur Verfügung stehen. Eine Zusammensetzung, von der alle profitieren.
Integration wird in der Kita als wechselseitiger Prozess gesehen. »Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen leben in einer Gemeinschaft, akzeptieren sich gegenseitig und lernen voneinander«, heißt es in einem Informationsblatt. Und dieses Ziel steht nicht nur auf dem Papier, sondern wird tagtäglich gelebt.
Um die jeweils 20 drei- bis sechsjährigen Kinder in der integrativen Wind- und Mondgruppe kümmern sich je zwei Erzieherinnen, eine Heilpädagogin und stundenweise auch eine Motopädin. Die Regelkinder und die Integrationskinder verbringen viel Zeit miteinander. Was jemand kann oder aufgrund einer Behinderung zum Beispiel nicht kann, wird von den anderen in der Regel rasch akzeptiert und respektiert. »Kinder sind in solchen Dingen ohnehin offener und unbefangener als Erwachsene«, meint Beate Külker, die die Kita seit dem Start im Sommer 2002 leitet.
Die gemeinsame Zeit in der Gruppe dient den Heilpädagoginnen und der Motopädin auch dazu, die Integrationskinder mit geschultem Auge zu beobachten und festzustellen, in welchen Bereichen sie eine Förderung benötigen. Und dafür gibt es vielfach ganz einfache Alltagsmaterialien, die den Kindern viel Spaß bringen. Das Paradebeispiel ist die Bohnenkiste, eine große Holzwanne, gefüllt mit Bohnen. Damit werde die Körperwahrnehmung geschult, erläutert Heilpädagogin Susanne Weihsbach. Und wenn sie ein Kind beobachtet hat, das zum Beispiel beim Milch eingießen während des Frühstücks Koordinationsschwierigkeiten hat, werden die Bohnen von Becher zu Becher geschüttet, so dass die Handgelenksbeweglichkeit spielerisch verbessert wird. Inzwischen hat die Kita schon mehrere kleine Bohnenkisten, weil sie bei allen Kindern der Renner ist. Die Regelkinder profitieren eben auch von den zusätzlichen Förder- und Spielmaterialien der integrativen Kita.
Für jedes Integrationskind werden individuelle Fördereinheiten geplant und umgesetzt, möglichst in enger Zusammenarbeit mit den Eltern und anderen Institutionen wie Logopäden oder Kinderärzten. Immer wieder ziehen sich die Heilpädagoginnen oder die Motopädin daher mit den Integrationskindern in besondere Räume wie Spielzimmer, Turnhalle, Werk- oder Ruheraum zurück, um mit ihnen einzeln oder in kleinen Gruppen gezielt zu arbeiten. Wichtig sei die ganzheitliche Förderung. »Die Kinder ziehen sich das, was sie besonders brauchen, schon selbst heraus«, so die Erfahrung der Fachfrauen.
Während die Integrationskinder in der Kita also speziell gefördert werden, dabei aber unter Regelkindern aufwachsen, lernen die Regelkinder, die Scheu vor Behinderungen oder anderen Handicaps zu überwinden und werden gleichzeitig für ihre Mitmenschen sensibilisiert. Etwas, was eigentlich nichts Besonderes, sondern in der Gesellschaft selbstverständlich sein sollte.

Artikel vom 14.04.2006