14.04.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Ulrich Radke


Die beiden laufen zum Grab. Atemlos, wortlos. Sie haben es eilig. Johannes, der Jünger, den Jesus liebte, und der als einziger seiner Freunde das Entsetzen unter dem Kreuz aushielt. Nun kann er die Nachricht kaum glauben. Das ist fast ein Wettlauf, er ist der erste am offenen Grab. Klar, denn die Liebe schenkt Flügel. Der andere ist Simon, den Jesus den Fels genannt hat. Simon Petrus. In der Nacht des Verrats kein Held. Da wollte er nur noch seine eigene Haut retten. Er war nicht wie Johannes mit den verzweifelten Frauen unter dem Kreuz gestanden. Doch am Ostermorgen kräht kein Hahn mehr nach menschlicher Schuld.
An diesem Morgen ist alles anders. Frauen entdecken das leere Grab. Wer sonst? Der frühe Morgen gehörte den Frauen, sollte der Tag gelingen. Damals wenigstens. So beginnt der Morgen unserer Kirche damit, dass die Frauen das leere Grab finden. »Geht zu seinen Jüngern und sagt ihnen: Er ist von den Toten auferstanden.« (Mt. 28,7) Was wäre Kirche heute, wenn die Frauen damals geschwiegen hätten?
Die Jünger eilen zum Grab, um vom Leben zu erfahren. In ihnen läuft die ganze Kirche der Wahrheit entgegen. Mit dem Apostel, der ihr Fundament wird. Und mit dem Jünger, den Jesus liebte. Seine Liebe macht nicht blind. Im Gegenteil. Zwar lässt er dem Petrus den Vortritt. Aber er ist nicht nur der Erste am offenen Grab, er ist auch der Erste, der sieht und glaubt.
Vielleicht eine dezente Vision in die Kirche des dritten Jahrtausends: der Langsamere, Bedächtigere hat das Sagen. Aber der Charismatiker findet zuerst zum Glauben, weil er mehr liebt. Kirche braucht sie beide. Den Realisten, der erst Atem holen muss, und jenen mit der Liebe auf den ersten Blick. Und beide sollten darüber den »Vorsprung der Frauen« (Rudolf Pesch) am Ostermorgen nicht vergessen. Zeugen des Ostermorgens. Überzeugen sie auch uns? Gewiss, der Kreislauf der Natur von »stirb und werde« mag hoffen lassen, und es klingt tröstlich, wenn Goethes Faust auf seinem Osterspaziergang beobachtet, dass die Leute selbst auferstanden sind. Und doch bringt sie jeder Ostertag dem Spätherbst ihres Lebens näher.
Unser ganzes Leben ist ein Gang zum Grabe. Doch wer zum Grab läuft, um Christus zu begegnen, läuft ins Leere. Gegenüber den Zeugen des Ostermorgens haben wir einen Vorsprung. Ihr Zeugnis. Wir wissen, dass er lebt. Wissen wir's? Können wir das glauben, ihnen das glauben? Hat die Botschaft uns angesteckt? Der Osterglaube lässt uns ahnen, dass der Wettlauf ums Leben keine bloßen Mitläufer duldet. Bloße Neugierde lässt keine Wunder begreifen. Schon gar nicht das Wunder des Lebens. Wie finden wir in den Ostermorgen und so zum Glauben? Voller Inbrunst jubeln wir: »Das Grab ist leer!« Aber ein leeres Grab beweist noch gar nichts, da bleiben selbst die Jünger skeptisch. Die Gelehrten werden darüber auch noch die nächsten dreitausend Jahre streiten. Die Osterzeugen sind auch keine Gelehrten, sondern einfache Frauen und Männer, die - wie wir auch - lernen müssen, dass man das Wunder des Lebens nur begreifen kann, wenn man sich von dem ergreifen lässt, der das Leben selber ist.
Das Leben und die Liebe. Die gehören zusammen, das eine gebiert das andere. Der Tod ist für den, der liebt, absurd, - wie der Karfreitag lehrt - und noch lange nicht das Ende. So rundet sich das Bild in den Ostermorgen hinein. Die Botschaft der Frauen vom Leben setzt die Jünger in Bewegung.
Der Schritt in den Ostermorgen ist kein Gang zum Grab. Gott hat den Stein, der unser Leben abschließt, ins Rollen gebracht. Der selige Papst Johannes XXIII jubelt: »Drei Tage im Jahr ist Passion, Tod und Trauer. Der Rest ist Leben, Auferstehung!«
Ein frohes Osterfest
Pfarrer Ulrich Radke

Artikel vom 14.04.2006