14.04.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Wort zum Sonntag

Von Religionspädagogin Barbara Kynast


Ostern Ñ die christliche Antwort auf eine bedrängende Frage: »Ist jemand da, wenn dein Flügel bricht?«

»Eines Nachmittags in Paris wurde mir auf einmal klar, dass ich zum Tode verurteilt sei«, berichtet die Dichterin Simone de Beauvoir. »Niemand außer mir befand sich in der Wohnung. Ich gab mich meiner Verzweiflung ohne Hemmung hin. Ich schrie, ich krallte die Finger in den roten Teppich. Wenn der Tag der Fälligkeit naht, sagte ich mir, und man ist 30 oder 40 Jahre alt und denkt: ÝMorgen ist es so weitÜ, wie erträgt man es nur, wie machen es die anderen? Und wie werde ich es machen?«
Ja, was macht ein Mensch, wenn er mitten in seinem Leben den Tod entdeckt? Fragen tun sich auf - entscheidende Fragen nach dem existentiellen Woher und Wozu. Der Liedermacher Herbert Grönemeyer geht noch einen Schritt weiter. In seinem Lied »Dort und Hier« stellt er die bedrängende Frage: »Ist jemand da, wenn dein Flügel bricht?«
Ich habe mit dem christlichen Ostern ein Fest gefunden, das mir Antworten auf diese Fragen gibt. So habe ich meinen Lebensentwurf mit dem gekreuzigten und auferstandenen Mann aus Galiläa, Jesus Christus, konzipiert und einen Mitgeher im Leben und - so hoffe ich - auch im Sterben und darüber hinaus entdeckt. Mit ihm hat Gott Geschichte geschrieben - zwischen Krippe und Kreuz, mit der Botschaft einer unermesslichen Liebe für die gesamte Welt, ablesbar an seinem Leben und Handeln. Diese Liebe ging auch dem Leid, dem Sterben und dem Tod nicht aus dem Weg. Und sie endet hier nicht. Gott befreit Jesus aus dem Tod und beschenkt ihn mit neuem Leben - die Geburtsstunde von Ostern. Damit erfährt die Botschaft Jesu »Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben und es in Fülle haben« (Jo 10,10) ihre Beglaubigung. Darauf setze ich, darauf vertraue ich und in ihr finde ich die Antworten auf meine Fragen nach dem Woher, Wozu und Wohin.
Weil es Ostern gibt, singe ich im Gottesdienst voll Freude »Das ist der Tag, den Gott gemacht, der Freud in alle Welt gebracht«. Der Grund dafür ist schier Unglaubliches. »Gott ist der Tod des Todes. ER ist das Leben der Toten!« (Bischof Franz Kamphaus) Denn die gesamten Bekenntnis- und Erzähltraditionen des Neuen Testaments bezeugen (und für dieses Zeugnis haben viele Menschen ihr Leben riskiert), dass Gott Jesus, den Gekreuzigten, von den Toten auferweckt hat.
Das ist die revolutionärste Nachricht, die je in der Welt verkündet wurde, und ohne sie wäre diese Welt nicht auszuhalten! »Glauben Sie das selbst auch?«, werde ich immer wieder von meinen SchülerInnen gefragt. »Das ist doch einfach nicht vorstellbar?« Wer sagt eigentlich, dass nur das Vorstellbare real ist?
Und so erzähle ich von der Hoffnung, die mich trägt. Ja, ich glaube es, dass Gott mächtig genug war, den Tod zu besiegen. IHM traue ich es zu, dass er so etwas Unerhörtes, nie Dagewesenes getan hat und Jesus auferweckt hat. Ich verschweige dabei aber nicht, dass mein Glaube nicht immer so selbstverständlich, nicht eindeutig und gradlinig ist, ja manchmal auch Achterbahn fährt. Übrigens finde ich mich dabei in guter Gesellschaft mit den beiden Emmaus-Jüngern (Lk 24).
Und ich sage, was dieser Glaube, der Generationen von Menschen vor mir Halt gegeben hat, für mein Leben bedeutet: Keine Vertröstung auf das Jenseits, vielmehr lebensbewältigende und -gestaltende Kraft im Diesseits. Schon hier berühren sich Himmel und Erde. Durch Ostern sehe ich die Welt mit anderen Augen, mein Leben erfährt Weite.
Österlich leben heißt für mich:
- Ich bin nicht Produkt eines irren Zufalls, einer Laune der Natur. Seit meiner Taufe bin ich mit Liebe »eingeschrieben in die Hand Gottes« (Jes 49, 13-16) Unwiderruflich!
- Mein Leben ist nicht sinnlos. Zwar weiß ich, dass ich als Einzelne die Welt nicht aus den Angeln heben kann. Aber ich engagiere mich für eine menschlichere Welt - jeden Tag mit kleinen möglichen Schritten bei alten und neuen Aufgaben.
- Auch wenn es so scheint - es gibt keine aussichtslosen, keine hoffnungslosen Situationen! Ich mache mutig weiter, halte aus und halte durch. Auferstehung - mitten am Tag!
- Meine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist von der Liebe Gottes umschlossen. Das macht mich gelassen. Ich kann mich von dem Krampf befreien, nicht alles mitzukriegen, was das Leben bietet, und damit von der Hektik und Atemlosigkeit, in die mein Leben oft zu geraten droht.
Meinen Osterglauben möchte ich aber nicht so verstehen, dass er nur egoistisch für mich gilt. Es gibt EINEN, der Hoffnung und Zukunft eröffnet für alle Menschen: erfolgreiche, glückliche, anerkannte . . ., vor allem aber für die Opfer menschlicher Bosheit, Zukurzgekommene, Erfolglose, Gescheiterte, Mauerblümchen der menschlichen Geschichte, denen das Lebensrecht und der Lebenssinn abgesprochen wird; für all die, die nicht die Chance hatten, ein reiches, erfülltes Leben zu führen. Sie haben nicht umsonst gelebt. Alles andere wäre unerträglich!
- Für mich ist der Tod nicht der große Gleichmacher, der über alles menschliche Leben und Leid das Gras des Vergessens wachsen lässt. Jedes Leben ist wertvoll - jenseits aller Leistung, auch behindertes, auch krankes, auch alt gewordenes Leben. Alles kommt an ein Ziel.
Nichts wird weggeworfen, entsorgt, verschwindet spurlos im Sand oder endet in einem dunklen Loch. Alles wird aufgehoben, zurückgegeben, vollendet - auch die Bruchstücke und Scherben eines jeden Lebens.
Ich glaube und vertraue, dass da ein Gott ist, der mich gern hat, der ein Interesse an mir hat, nicht nur, wenn ich lebe, sondern mehr noch, wenn ich sterbe. Dann heißt Sterben für mich: Da ist jemand, wenn mein Flügel bricht! Gott erwartet mich mit offenen Armen. Das ist Ostern: Im Tod hinübergleiten von der einen Hand Gottes in seine andere! Und in ihr werde ich Menschen wiederfinden, die ich auf dieser Erde geliebt habe. Darum: Halleluja! Halleluja! Halleluja!

Artikel vom 14.04.2006