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Nacherleben und Hingabe

Überwältigende Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach

Von Dagar Korth
Höxter (WB). Die Reihe Ad Festum wurde in faszinierender Weise mit der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach eröffnet.

Vielleicht erschöpft - aber restlos glücklich: Das Zuhören, Mitdenken, Nacherleben großer Musik fordert seinen Preis an Konzentration und Hingabe, zumal wenn Gerhard Weinberger mit Bachs Matthäuspassion überwältigt. In ihrer Genialität und Vollendung ist die Matthäus-Passion ein großes kulturelles Erbe, dass doch immer wieder neu, spannend und anrührend zu erleben ist.
Allein die Choralgestaltung des Chores der Detmolder Hochschule für Musik ist in ihrer Transparenz und Tonschönheit, ihrem Mitleidsappell und Ausdrucksreichtum ein Geschenk.
Was den Chören an Bildhaftigkeit und Dramatik an polyphoner Kunst und harmonischer Schöpfung inne wohnt - wo könnte man es besser, klarer, eindringlicher nachvollziehen als mit dieser Aufführung von Gerhard Weinberger und der Barockakademie der Hochschule für Musik, Detmold. Weinberger brachte mit seinem ambitionierten Ensemble das Kunststück zu wege, den Eindruck von glühender Intensität, und der immer neuen Liebe zu Bachs Genie zu vermitteln. Es war eine Gestaltung der Passionsgeschichte ohne virtuose Eitelkeiten. Die Chöre, das Instrumentalisten-Ensemble und das Solistenquintett machten packend bewusst mit welchem Ernst Johann Sebastian Bach dem Geheimnis seines Glaubens als Komponist auf der Spur ist.
Die handelnden Gruppen bekamen ein ganz eigenes Profil; sanfte Gläubige, irritierte Jünger, pharisäische Richter. Der »Barrabam«-Ruf der aufgehetzten Menge tönt in seiner Intensität wohl noch lange im Ohr nach. Nicht zu vergessen ist auch der gut einstudierte Kinderchor der Choralsingschule Gütersloh (Leitung Sigmund Bothmann) Die fünf Solisten luden immer wieder zur Versenkung in das Erlösungsgeschehen ein. Wie nuancenreich die von Bach eingeführte fromme Seele den Evangelienbericht aufnimmt, mit heißen Gefühlen reagierend oder still ins Mysterium versenkt, das brachten die schönen Frauenstimmen zum Vorschein. Zu diesen Momenten gehörte die »Erbarme Dich-Arie« der Altistin Dshamilja Kaiser. Ebenso der strahlende Sopran von Meike Leluschko, die durch Nuancen und sinnerschließende Akzente bezauberte.
Mit ihrer subtil gestalteten Arie »Aus Liebe will mein Heiland sterben« lockte sie ihre Zuhörer in ätherische Gefilde. Ein »Bravo« scheint sich in einer Passionsmusik eigentlich zu verbieten, doch dem Evangelisten Knut Schoch dediziert, wäre es am Platz. Schoch sang die berichtenden Worte des Evangeliums schlank und frei, steigerte sich in der Gefühlstiefe seiner Interpretation. Besonders sensibel und innig interpretierte er die schwierige Stelle »und ging hinaus und weinte bitterlich«, die oft in Sentimentalität abgleitet.
Die heikel zu singenden Christusworte gestaltete mit schönem warmen Timbre Markus Köhler.
Der Bass Andreas Wolf zeigte das Erschrecken von Bachs Pilatus und stattete die Judas-Figur mit menschlichen Regungen aus.
Besonders zu erwähnen ist sein schönes Rezitativ »Am Abend da es kühle war« Dass man die unerhörte geheimnisvolle Geschichte hellwach bis zum Ende verfolgte, verdankt man nicht zuletzt manch fabelhaft aufspielendem Instrumentalsolisten.
Bachs Matthäus-Passion ist eine Lebensaufgabe, und sie ist immer wieder neu zu erproben. Anders lässt sich die unmittelbare Wirkung ihrer Musik und die Faszination wohl nicht erklären.

Artikel vom 12.04.2006