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Rechtsstreit frisst Entschädigung

Arzthaftungsrecht: Behindertes Kind könnte mit leeren Händen dastehen

Von Annemarie Bluhm-Weinhold
Steinhagen (WB). Eigentlich sollte das vor Gericht erstrittene Geld - wenig genug ohnehin - Laura ein wenig für die Zukunft absichern. Doch von den 7500 Euro musste nicht nur das Honorar des Anwalts, sondern sollen auch Gerichtskosten bezahlt werden. Und so könnte ein behindertes Mädchen aus Steinhagen am Ende mit leeren Händen dastehen.

Es geht um einen jahrelangen Rechtsstreit, der die Familie, die namentlich nicht genant werden möchte, viel Zeit, Kraft und Nerven gekostet hat, und dessen letztes Kapitel noch offen ist: Denn der Besuch des Gerichtsvollziehers steht noch aus. 2800 Euro an Gerichtskosten, die haben Lauras Eltern nämlich nicht bezahlt. Die Geschichte ist nicht zuletzt in den Augen der Familie auch absurd, weil einer Ärztin zwar fahrlässiges, aber nicht grob fahrlässiges Verhalten nachzuweisen war, die Medizinerin somit aus der Beweispflicht und ihre Versicherung aus der Zahlungspflicht heraus ist. Fälle mit Arzthaftungsrecht sind die schwierigsten juristischen Prozesse überhaupt, weil Fehler schwer festzustellen sind - sieht die Familie die Erkentnis ihres Anwalts bitter bestätigt.
Ihr Kind hätte vor 14 Jahren ohne den folgenschweren Fehler ihrer Gynäkologin gesund zur Welt kommen können, ist die 42-jährige Steinhagenerin überzeugt. Dramatische Anzeichen für eine beginnende Schwangerschaftsvergiftung - Gestose, eine der häufigsten Komplikationen - habe die Ärztin übersehen, schildert die junge Frau, die damals in Bad Neuenahr lebte. Sowohl bei der Vorsorge am 25. November 1991, sieben Wochen vor dem Geburtstermin, als auch zwei Tage später, als es der Patientin deutlich schlechter ging, wird sie nach Hause geschickt. »Dabei musste das Kind schnellstens geholt werden.« Das Ehepaar begibt sich dennoch umgehend ins Krankenhaus: »Und das hat unserem Kind das Leben gerettet«, so die Steinhagenerin. Der Mutter geht es schlecht, dem Baby, per Notkaiserschnitt geboren, ebenfalls. Doch beide erholen sich.
»Damals haben wir geglaubt, dass wir ein gesundes Kind bekommen haben«, so die Mutter. Erst im Laufe der Zeit wird die Behinderung erkennbar. Mit einem knappen Jahr ist Laura deutlich verzögert in der Entwicklung, mit 13 Monaten sind die Prognosen dann wieder ganz gut. Erst mit zweieinhalb bis drei Jahren - in dieser Zeit wird ihre gesunde Schwester geboren - zeigen sich bei genauerer Diagnostik erste Anzeichen einer geistigen Behinderung und einer Hemiparese, einer rechtsseitige Lähmung.
Den Eltern wird 1996 durch Fachleute geraten, rechtliche Schritte gegen die Ärztin einzuleiten. Doch der Fall ist verjährt, so dass eine Überprüfung durch die Ärztekammer nicht erfolgen und die Schiedsstelle nicht angerufen werden kann.
Eine Einigung mit der Versicherung der Ärztin scheitert. 15 000 D-Mark, die die Versicherung damals bietet, erscheinen den Eltern viel zu wenig. 1998 reichen sie Klage beim Landgericht Koblenz ein. Dass Lauras Behinderungen von einer Narbe im Gehirn durch eine Unterversorgung mit Sauerstoff herrühren, das ist ärztlich erwiesen. Ebenso dass diese Schädigung in der 33. Schwangerschaftswoche passierte. Nur der genaue Zeitpunkt - die Tage vom 25. bis 27. November 1991, - als die Ärztin nichts unternahm, die lassen sich nicht eingrenzen.
Und so wird das Gerichtsverfahren, das im Sommer 2002 beginnt, endlos. Ein Hin und Her an Schriftverkehr, verschwundene Unterlagen und etliche Gutachten, die zum Teil nach Meinung der Familie sehr ärztefreundlich ausfallen. »Ich musste lückenlos meine Arztbesuche mit dem Kind nachweisen, und man hat mich sogar gefragt, ob ich Laura die Treppe habe herunterfallen lassen«, schildert die Mutter.
Gerichte sprechen nicht Recht, sie fällen ein Urteil, sagt die 42-jährige bitter. Nach dem ersten Richterspruch, der zwar Fahrlässigkeit der Ärztin ergibt - so muss die Versicherung gar nicht zahlen -, gehen die Eltern in die Revision. Unterstützt auch von ihrem Kinderarzt. Der Richter schließlich erkennt den tragischen Fall und schlägt einen Vergleich mit der Versicherung vor. 7500 Euro - diese Summe akzeptieren die enttäuschten Eltern diesmal.
Was von ihr von dem Geld bleibt? »Man fragt sich immer, was wird, wenn man selbst nicht mehr da ist. Wir haben unsere Tochter zumindest ein Stück weit für die Zukunft versorgen wollen«, sagt die Mutter. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Lage: »Der Wind, der behinderten Menschen ins Gesicht weht, wird mit leeren öffentliche Kassen rauer. Wer weiß, ob in Zukunft noch Geld für Wohngruppen, Förderung und integrative Werkstätten da ist.«

Artikel vom 13.04.2006