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Ein König ohne Krone stand drei Tage lang barfuß vor den Toren der Burg

Hintergründe des Machtkampfs zwischen Salier Heinrich IV. und Papst Gregor VII.

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Der Bußgang König Heinrichs IV. zu Papst Gregor VII. nach Canossa gilt als ein welthistorisches Schlüsselereignis. In Paderborn widmet sich eine große Mittelalter-Schau diesem machtpolitischen Geschichtsdatum. Doch was ist eigentlich im Winter des Jahres 1076/77 genau passiert?

Salierkönig Heinrich IV. (1050-1106) regierte fünf Jahrzehnte lang das neben dem Frankenland mächtigste Reich des Abendlandes, das sich von Norditalien bis zur Nord- und Ostsee erstreckte. Eigentlich brauchte der kampferprobte und kompromisslose Regent um seinen Einflussbereich nicht zu fürchten. Doch die immer wieder durch geschickte Lehensvergaben an servile Bischöfe und ergebene Fürsten gestärkte Machtsphäre geriet Mitte der siebziger Jahre des 11. Jahrhunderts zunehmend ins Wanken.
Nicht nur die unbequemen Sachsen im Nordosten des Reiches wandten sich immer wieder gegen den Machtanspruch der Salier. Auch mit der Römischen Kirche zeichnete sich zunehmend ein Dissenz ab, nachdem der als »Zuchtrute Gottes« gefüchtete Gregor VII. 1073 zum Papst gewählt worden war. Mit seinem zwei Jahre später verfügten »Dictatus papae« erklärte der Kirchenführer nicht nur, dass er als einziger berechtigt sei, Bischöfe ab- und wieder einzusetzen. Er nahm für sich auch das Recht in Anspruch, »die Kaiser abzusetzen.«
Ein Mann wie Heinrich IV. musste dies als Kriegserklärung verstehen. Das Recht zur Einsetzung von Bischöfen (Investitur) hatten die Päpste längst mit den weltlichen Herrschern geteilt, und der Salier sah überhaupt keinen Anlass, sich diese Entscheidungen von Rom abnehmen zu lassen. Mit der Ernennung Tebalds zum Erzbischof von Mailand provozierte er 1075 den offenen Bruch mit dem Petrusstuhl. Auf der vom ihm im Januar 1076 einberufenen Bischofssynode von Worms gelang es ihm, die Mehrheit der Bischöfe und Fürsten zur Abkehr von Gregor VII. zu bewegen.
Die Antwort aus Rom erfolgte prompt: der Papst belegte Heinrich IV. im Februar mit dem Kirchenbann und machte von seinem selbst erteilten Recht zur Absetzung des Königs Gebrauch. »Ein derartiger Vorgang war in der bisherigen Geschichte ohne Parallele«, so der Heidelberger Mittelalterforscher Prof. Dr. Stefan Weinfurter in seinem Buch »Canossa - Die Entzauberung der Welt« (Beck-Verlag).
Der päpstliche Schachzug verfehlte seine Wirkung nicht. Heinrich sah sich plötzlich einer schleichenden Macht-Erosion ausgesetzt. Immer mehr der ihm bislang ergebenen Fürsten und Bischöfe rückten von seiner Seite ab. Im Oktober 1076 setzte ein in Trebur einberufenes Fürsten-Tribunal dem König ein Ultimatum: Binnen eines Jahres nach der vom Papst ausgesprochenen Exkommunizierung müsse Heinrich Buße tun und sich der kirchlichen Oberhoheit unterwerfen. Anderenfalls werde man ihm die Gefolgschaft aufkündigen.
Jetzt wurde es für den Salierkönig eng. Das Treffen der Fürsten und Bischöfe, in dem es um seinen Kopf gehen sollte, war bereits auf den Februar 1077 terminiert. Um den Papst auf dem Weg nach Augsburg abzufangen, machte sich Heinrich kurz vor dem Weihnachtsfest 1076 mit seiner Familie und einem starken Begleit-Tross auf die Reise über die Alpen.
Überliefert ist die abenteuerliche Geschichte von Lampert von Hersfeld: »Der Winter war äußerst streng, und die sich ungeheuer weit hinziehenden und mit ihren Gipfeln fast bis in die Wolken ragenden Berge, über die der Weg führte, starrten so von ungeheuren Schneemassen und Eis, dass beim Abstieg auf den glatten, steilen Hängen weder Reiter noch Fußgänger ohne Gefahr einen Schritt tun konnten.« Unter Lebensgefahr habe man endlich die Ebene erreicht.
Papst Gregor hatte sich inzwischen sicherheitshalber auf die Burg Canossa der Markgräfin Mathilde von Tuszien zurückgezogen und erwartete die Ankunft Heinrichs, die am 25. Januar 1077 erfolgte. »Dort«, so heißt es wörtlich in einem Brief des Papstes an seine Bischöfe, »stand er drei Tage vor dem Burgtor, nachdem er alle königlichen Herrschaftszeichen abgelegt hatte, in kläglichem Aufzug, barfuß und in einem Wollhemd, und hörte nicht eher auf, mit vielen Tränen die Hilfe und die Tröstung des apostolischen Erbarmens zu erflehen, bis alle Anwesenden, zu denen diese Rufe gelangten, von soviel Milde und Mitleid erfüllt wurden, dass sie sich mit vielen Bitten und Tränen für ihn bei uns verwandten und sich alle über die ungewöhnliche Härte unsereres Sinns verwunderten«, schildert Gregor die Umstände des königlichen Bußaktes. »Von dem Drängen seiner Reue und den flehentlichen Bitten aller, die zugegen waren, überwunden, haben wir schließlich die Fessel des Kirchenbanns gelöst und ihn wieder in den Schoß der heiligen Mutter Kirche aufgenommen.«
Umstimmen konnte der von seinem Bann erlöste König die Fürsten seines Reiches allerdings nicht mehr. Bei der Reichsverwammlung im März 1077 in Forchheim setzten sie Heinrich IV. als ihren König ab und wählten den papsttreuen Rudolf von Rheinfelden zum Gegenkönig. »Canossa hatte keine Klärung gebracht«, bilanziert Prof. Weinfurter. »Das Reich stand nun erst recht vor einer Zerreißprobe größten Ausmaßes.«

Artikel vom 21.04.2006