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Kreuzverhör voller Sprengstoff

»Zeugin der Anklage« von Agatha Christie im Stadtgarten aufgeführt

Bünde (öse). Er schaut drein, als könne er kein Wässerchen trüben. Ihre Miene scheint wie eingefroren, auch ihr Herz hat wohl lange keinen »Sonnenstrahl« mehr eingefangen. Und über all dem schwebt eine bittere, Unheil verheißende Zukunft, deren Brisanz durch die Gegenwart von Richter und Staatsanwalt auch nicht unbedingt entschärft wird. Das Kriminalstück »Zeugin der Anklage« war am Dienstag an knisternder Spannung kaum zu überbieten.

Wirkten die Dialoge zunächst auch eher lakonisch und die Stimmen verhalten - der berühmte Funke sprang plötzlich und mit riesiger Energie über. Mitreißend dann die Szenen im Gerichtssaal: Wohl die meisten der in großer Zahl anwesenden Zuschauer fühlten Sympathie mit dem Angeklagten Leonard Vole, wollten der - allerdings sehr trefflichen - Wortwahl des Staatsanwaltes Myers innerlich Paroli bieten. Was den wiederkehrenden Szenenapplaus anging - da konnte einfach niemand die »Aussage verweigern«.
Seine Arbeitsweise besitzt »Pfiff«, er geht häufig dicht an die Grenzen und seine Plädoyers sind brillant. Doch letzten Endes muss Rechtsanwalt Sir Wilfrid Robarts (hervorragend gespielt von Paul Weismann) erkennen, dass er der diabolischen Raffinesse des Ehepaares Vole nicht gewachsen ist. Obwohl dunkelhaarig, umweht sie dennoch ein kühler, lasziver Hauch von »Marlene«: Gundula Piepenbring verschmilzt beinahe mit der undurchsichtigen Christine Vole, ähnlich wie einst Marlene Dietrich in ihrem Hollywoodfilm.
Aschfarben sind die Perücken, in den Köpfen raucht es und die Kreuzverhöre gleichen einer Explosion. Rechtsanwalt und Staatsanwalt (Thomas Linke) sind in ihrem Wortdrang kaum zu bremsen. Der Richter (Wolfgang Rumpf) scheint da milder gestimmt. Gleich drei Rollen verkörpert er mit Leichtigkeit: Jürgen Trott als Anwalt, Gerichtsmediziner und Labortechniker. Letzterer, mit Trenchcoat und Piepsstimme, bringt eine gute Dosis Humor mit.
Sie ist schwerhörig, will dennoch die Stimme von Leonhard Vole kurz vor dem Mord an »ihrer« Mrs. French erkannt haben: Anette Felber setzte die Haushälterin Janet MacKenzie gekonnt in Szene. »Very british« dann Inspektor Hearne, dargestellt von Pier Niemann. Auch Sandra Steinbach als Krankenschwester und die »andere Frau« an der Seite von Leonard Vole war in ihrem Element.
Eins kristallisierte sich heraus: Agatha Christie hat mit »Zeugin der Anklage« ein echtes Monument geschaffen, das das Bünder Publikum zu würdigen wusste. Der lang anhaltende Schlussapplaus trat diesen Beweis an.

Artikel vom 06.04.2006