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Beweislast liegt bei Behörden

Hartz IV und die eheähnliche Gemeinschaft - Vermutung reicht nicht

Von Michael Sondergeld
Das Schicksal der Arbeitslosigkeit kann heute jeden treffen. Der Staat stellt mit Arbeitslosengeld und dem so genannten Arbeitslosengeld II (Hartz IV) Leistungen zur Verfügung, die die Existenz jedes Einzelnen sichern sollen. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II besteht allerdings nur dann, wenn weder das eigene Einkommen und Vermögen noch das des Ehegatten oder Lebenspartners ausreichen.

Die Frage, ob ein Hilfebedürftiger mit einem Partner oder einer Partnerin in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, ist daher von erheblicher Bedeutung. Dies war auch vor Hartz IV der Fall. Bereits 1992 hatte sich deshalb das Bundesverfassungsgericht - damals im Rahmen der Arbeitslosenhilfe - mit der Anrechnung von Einkommen bei einer eheähnlichen Gemeinschaft beschäftigt. An das Vorliegen einer solchen Lebensgemeinschaft sind hohe Anforderungen zu stellen.
Als eheähnliche Gemeinschaft ist eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau nur dann zu bezeichnen, wenn sie auf Dauer angelegt ist, keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und innere Bindungen vorliegen, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen.
Das Zusammenleben in einer Wohnung reicht also nicht. Die Beziehung muss über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Entscheidend ist die Bereitschaft, auch in Notzeiten miteinander zu leben und füreinander zu sorgen.
Ob eine Beziehung auf Dauer angelegt ist, lässt sich gegen den Willen der Beteiligten meist nur schwer feststellen. Die Bundesagentur für Arbeit hat im Rahmen der Arbeitslosenhilfe eine Beziehungsdauer von drei Jahren als ausreichend angesehen. Das Bundessozialgericht hat diesen Zeitraum im Recht der Sperrzeiten als angemessen angesehen. Nunmehr hat das Landessozialgericht NRW diese Frist für das Arbeitslosengeld II bestätigt. Eine Beziehungsdauer von beispielsweise sechs Monaten reicht also grundsätzlich nicht, um eine eheähnliche Gemeinschaft zu bejahen.
Ein kürzeres Zusammenleben kann jedoch ausreichen, wenn andere wesentliche Tatsachen für eine eheähnliche Gemeinschaft sprechen. Als solche kommen neben der gemeinsamen Haushaltsführung gemeinsame langfristige Vermögensdispositionen in Betracht.
Hierzu zählen die Kontovollmacht, der Abschluss von Versicherungen für den Partner, die Begünstigung in Lebensversicherungsverträgen, der gemeinsame Kauf von Möbeln etc. sowie die gemeinsame Finanzierung eines Einfamilienhauses oder einer Eigentumswohnung. Natürlich sprechen auch gemeinsame Urlaube und eine intensive Freizeitgestaltung für eine eheähnliche Gemeinschaft. Im Rahmen einer Vielzahl von Kriterien sind Kinder ein wesentliches Indiz für eine eheähnliche Gemeinschaft, insbesondere gemeinsame Kinder. Partner, die gemeinsam für Kinder sorgen, werden auch füreinander einstehen wollen. Es entstehen wechselseitige Abhängigkeiten, die eine genauere Lebensplanung erfordern, als bei kinderlosen Paaren.
Es sind somit viele Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft lässt sich nicht leicht feststellen. Es kommt auf das Gesamtbild an, nicht auf einzelne Merkmale. Die Behörden sind deshalb auf die zutreffenden und vollständigen Angaben des Hilfebedürftigen angewiesen. Dieser ist gesetzlich verpflichtet, alle Tatsachen anzugeben, die für den Bezug der Leistung von Bedeutung sind. Folglich sind auch Angaben zu einer eheähnlichen Gemeinschaft sowie zum Zusammenleben erforderlich.
Ist das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft zu bejahen, hat auch der Partner Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen zu machen. Wer seine Auskunftspflicht vorsätzlich verletzt, muss nicht nur mit einer Rückforderung der Leistung, sondern auch mit einem Strafverfahren rechnen.
Aufgrund der Bedeutung der Informationen versuchen Leistungsträger vielfach, mit Hilfe so genannter Sozialfahnder Angaben zu prüfen. Dies geschieht durch unangekündigte Hausbesuche. Ein solcher Hausbesuch kann nicht erzwungen werden. Ein Hilfebedürftiger ist nicht verpflichtet, einem Mitarbeiter der Behörde Einlass zu gewähren. Dieser darf nur mit Zustimmung des Inhabers die Wohnung betreten. Aus einer Verweigerung des Zutritts dürfen in der Regel keine nachteiligen Schlussfolgerungen für den Hilfebedürftigen gezogen werden.
Da bereits fraglich ist, ob ein Hausbesuch zur Aufklärung beitragen kann, sollte sich jeder Betroffene seine Entscheidung genau überlegen. Einerseits reichen das bloße Zusammenleben und die gemeinsame Benutzung von Haushaltsgegenständen nicht aus, um eine eheähnliche Gemeinschaft zu bejahen. Andererseits fordern Gerichte eine nachvollziehbare Begründung dafür, weshalb das Zusammenleben eine bloße Zweckgemeinschaft darstellen soll.
Da es um die Gewährung existenzsichernder Leistungen geht, darf die Behörde ihre Entscheidung nicht mit bloßen Vermutungen begründen. Dies gilt insbesondere laut Bundesverfassungsgericht dann, wenn sich diese auf in der Vergangenheit liegende Umstände stützen.
Lässt sich der Sachverhalt trotz aller Bemühungen durch die Behörde tatsächlich nicht aufklären, so geht dies zu ihren Lasten. Sie trägt die Beweislast für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft. Dies hat zu Missbrauchsfällen geführt, die in den Medien zu Recht angeprangert wurden. Der Gesetzgeber überlegt daher zur Zeit, eine gesetzliche Vermutung einzuführen. Danach soll bei einem Zusammenleben von Paaren grundsätzlich vom Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft ausgegangen werden. Diese Vermutung können die Hilfebedürftigen widerlegen. Zweifel gehen dann zu ihren Lasten.
Ob und wann dies geschieht, steht nicht fest. Die Situation der Hilfebedürftigen, die mit einem Partner zusammenleben, ist somit zur Zeit besser, als vielfach angenommen.

Artikel vom 08.04.2006