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Börchers ruft
das PISA-Taxi

Kabarett mit intelligentem Witz

Von Ulrike Florschütz
(Text und Foto)
Altenbeken (WV). In Altenbeken ist man durchaus tolerant, wenn sich ein junger Kabarettist auf die Bühne wagt, um sich nicht nur als »TierweltIgnorant« und »fieser Floraverweigerer«, sondern auch als Bielefelder zu outen.

Ingo Börchers war also am Sonntagabend im Eggemuseum völlig sicher vor der »Mischung aus Mitgefühl und Häme«, die ihm seine Heimatstadt anderswo beschert. Sein drittes Solo-Programm »Das Blaue vom Himmel« beschäftigt sich mit Politik und Wissenschaft, Bildung und Beziehungskisten. Alles wird in abenteuerlichen Gedankenexperimenten unter die Lupe genommen, in Frage gestellt oder in gewagte Thesen gepresst. Ingo Börchers gehört zweifelsohne zu den echten Kabarettisten, zu denen, die dem Zuhörer die Möglichkeit geben, zu Ende zu denken, anstatt ihm vor den Kopf zu stoßen.
Humor wirft er nicht zum Fraß hin, sondern bereitet ihn vor, zum Beispiel mit einem banalen Satz wie »Wenn du Bildung vortäuschen kannst, ist das die halbe Miete.« Dann verheddert er sich, verwechselt die Süddeutsche mit der Bildzeitung und hat gleichzeitig den Schneid, ein »PISA-Taxi für Politiker, Journalisten und andere Laien« gründen zu wollen. Wenn er all seinen Verstand zusammennimmt, kommt er sogar zu dem gleichen Ergebnis wie Albert Einstein: »Wie lang eine Minute ist, hängt davon ab, auf welcher Seite der Toilettentür du dich befindest!«
Vor der Pause empfiehlt der 32-Jährige seinem Publikum »mal schnell zu warten« oder sich »langsam zu beeilen«, um es danach mit einem echten Praxisversuch zu überraschen. Ein beschmiertes Brot beweist so gut wie nichts, und so konzentriert sich der mit mehreren Kleinkunstpreisen ausgezeichnete Spaßmacher wieder völlig auf die Theorie. Kreisverkehr und Tempo-30-Zonen kündigen trotz Stoffwechselkrankheit das enorme Zukunftspotential von Frauen an. Natürlich kennt sich der sprunghafte Gedankenmacher auch aus mit kausalen Zusammenhängen, und es macht ihm sichtlich Spaß, die Abhängigkeiten zu untersuchen. »Die Sonne geht nicht auf, weil der Hahn kräht.« Nur zwischen Tupperware und dem H5N1-Hypochonder, den Börchers grotesk-großartig spielt, lässt sich kein Zusammenhang entdecken. Völlig allein steht auch die Universum erschütternde Frage: »Müssen Nadelbäume zum Kieferorthopäden?«
Mit seinem Programm »Das Blaue vom Himmel« beweist Börchers ungelogen, dass es ihn noch gibt, den intelligenten Witz zwischen Sinn und Unsinn. Nur findet man ihn leider auf einem Markt, auf dem man sich mit rohen Plattheiten übertreffen will, immer seltener.

Artikel vom 04.04.2006