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Hiobs Botschaft
als Tanzreigen

Aufführung in der Marienkirche

Herford (HK). »Das Buch Hiob« war die Aufführung betitelt, die die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Herford in der Marienkirche Stift Berg am Samstag vor zahlreichen Zuhörern veranstaltete. Mit diesem Thema sprachen die Organisatoren das zentrale jüdische Schicksal im 20. Jahrhundert an, aber natürlich ein Schicksal, das jeden Menschen treffen kann - dargestellt in einem der herzzerreißendsten Texte der hebräischen Bibel.

Ein Gesamtkunstwerk aus Musik, Sprache, Malerei und Tanz bot der Dresdener Tänzer und Choreograph Manfred Schnelle zusammen mit dem Schauspieler Stefan Piskorz (Lesung), der Malerin und Geigerin Johanna Mittag und dem Organisten Tino Knappe.
Kreidezeichnungen von Johanna Mittag waren im Nordschiff der Kirche ausgestellt: eindrucksvolle Skizzen, die schon aufgrund der Malweise sich nie in Details verlieren konnten.
Mit bald starken, bald auch schmerzhaft schrillen, meist atonalen Klängen malten die Geigerin und der Organist Hiobs Unglück und seine Verzweiflung.
Dann trat Manfred Schnelle auf: Das Gesicht gelb geschminkt, in ein gelbes Gewand und eine gelbe Mütze gehüllt, im Mittelalter das Gewand der Schande, tanzte er um den zentralen Altar herum, schüttelte die Fäuste, brach zusammen, hielt sich an Säule oder Ambo fest. Seine Gesten wurden improvisatorisch und kongenial vom Duett aus Geige und Orgel begleitet. Interessant war die Rolle von Stefan Piskorz, der den Bibeltext las. Da man die Kenntnis des Textes voraussetzte, sprach er nur die wesentlichen Teile daraus. Immer las er aus einer großen Mappe ab, und trotzdem blieb er nicht außerhalb der Szene, sondern übernahm immer wieder Rollen dem tanzenden Hiob gegenüber. In der Rolle der Verwandten und Freunde sprach er von oben herab auf ihn ein, seine Mappe, sprich sein heiliges Buch, als Autorität vor sich her tragend, als Element, das Distanz schaffte. So verkörperte er die Arroganz der Satten, die das Unglück anderer nicht an sich heran lassen wollen. Nur einmal wollte dieses Konzept nicht so ganz aufgehen, nämlich als sich Piskorz schließlich doch zu Hiob niederbeugte, um ihm ehrlichen Trost zuzusprechen: Da behinderte ihn seine Mappe wirklich.
Für René Girard ist Hiob das von den Seinen auserwählte Opfer, das sich aber mit aller Kraft weigert, diese Opferrolle zu erfüllen. Girard untermauert damit seine These, die bloße Annahme der Opferrolle könne das Gewaltverhältnis nicht auflösen, das immer wieder neue Opfer fordern werde. Insofern ist Hiob kein Vorbild für die Gestalt Christi.
Gerd Büntzly

Artikel vom 03.04.2006