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Untersuchung ist 1,40 Euro wert

Ärzte aus Werther und Borgholzhausen protestieren auf Wochenmarkt

Werther (dh). Ein Schreibtisch, eine Liege und ein Blutdruckmessgerät: Soll so die Arztpraxis 2009 aussehen? Das fragten gestern Ärzte aus Werther und Borgholzhausen, die im Rahmen ihrer dreitägigen Protestaktion vormittags auf dem Wochenmarkt auf dem Venghaussplatz Station machten.

»Wir müssen heute gar keine Verluste hinnehmen, wenn wir hier stehen«, sagt Dr. Hans-Joachim Decius. Denn: Mehr als ein Drittel ihrer Arbeit werde Ärzten gar nicht bezahlt. »Jahrelang haben wir pro Quartal zwei bis drei Wochen umsonst gearbeitet, jetzt reicht's«, findet Dr. Matthias Stratmann, ebenfalls aus Werther.
In Westfalen-Lippe hätten bis jetzt 70 Ärzte Insolvenz anmelden müssen. Eine Entwicklung, die Dr. Stratmann gut nachvollziehen kann. Wer - wie er - keine Praxis vom Vater übernommen habe, sich sein Studium selbst finanzieren und die Existenz aus eigener Tasche aufbauen musste, sei nicht selten nach mehr als 15 Jahren im Beruf noch hoch verschuldet.
1,40 Euro sind den Krankenkassen die Untersuchung und Beratung ihrer Patienten wert, für das Ausfüllen eines Papiers für die Krankenkassen zahlen sie 3,20 Euro. Für die Behandlung eines Patienten für drei Monate bekommen die Hausärzte laut einer Tabelle des Ärztenetzwerks »Werthmed« höchstens 43,20 Euro. Zum Vergleich: Ein Wartungsvertrag für Computersoftware über drei Monate kostet 450 Euro.
»Wir tun das auch für unsere Patienten«, betont Matthias Stratmann, der mit seinen Kollegen bereits einen Tag im Januar und zwei Tage Anfang März protestiert hatte. Heute ist der letzte Tag einer dreitägigen Protestaktion, für 19. Mai planen die Ärzte aus Werther und Borgholzhausen, ihrem Ärger bei einer Demonstration in Berlin Luft zu machen.
Den Facharzt um die Ecke wird es nach Ansicht der Ärzte in 2009 wohl nicht mehr häufig geben. Der Hausarzt werde längst nicht mehr so ein breites Behandlungsspektrum anbieten können, prognostiziert Stratmann. Fachärzte seien vor allem in großen, technisch hoch aufgerüsteten Ambulanzen zu finden. Keine Spur von der wohnortnahen haus- und fachärztlichen Versorgung. Stratmann: »Dabei ist das gewachsene, persönliche Verhältnis zwischen Arzt und Patient sehr wichtig für den Heilungsprozess.«
»Wir wollen eine gute, solide Versorgung für Kassenpatienten. Denn das sind 90 Prozent aller Fälle, davon leben wir«, erklärt Matthias Stratmann, der die Therapiefreiheit der Ärzte dahinschwimmen sieht. Die Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der zum Ende des Quartals nur noch Beamte, Arbeitsunfälle und Privatpatienten behandelt werden, ist ihm und seinen Kollegen ein Graus.
Mit großem Verständnis und Interesse haben die Bürger gestern auf den Proteststand der Ärzte reagiert. Mit Unterschriften erklärten sie sich solidarisch mit den Medizinern, forderten die bewährt-qualifizierte und wohnortnahe Versorgung sowie eine Gebührenordnung mit fairen Preisen.

Artikel vom 31.03.2006