29.03.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

25 Stunden nicht geschlafen

Gericht verurteilt Busfahrer zu Strafe auf Bewährung

Von Ulrike Schödel
Bonn/Espelkamp (WB). Der 4. Juli 2005 war ein wunderbarer Tag - bis zu diesem Moment, als der Reisebus sich offenbar selbstständig machte. Gestern, beinahe ein Dreiviertel Jahr nach dem Unfall am Meckenheimer Kreuz mussten sich die Mitreisenden einer Kaffeefahrt nach Koblenz noch einmal erinnern.

So auch Waltraud Schmitz, 73 Jahre alt, die durch den Unfall schwer verletzt wurde: »Ich habe mich unterhalten und plötzlich merkte ich, dass der Bus schlingert. Und schon fiel er um. Ich habe noch gedacht, das gibt's doch nur Film.« Auch der Zeuge Walter Gerhards, 57 Jahre alt, erinnerte sich: Der Autofahrer fuhr hinter dem Bus, »als das Gefährt in einer leichten Linkskurve wie führerlos in die Böschung fährt und umkippt.« Bis heute scheint dem Mann der Busunfall, der direkt vor seinen Augen ablief, völlig unwirklich. Dann aber die Realität: Nach der »Vollbremsung und dem ersten Riesenschrecken« alarmierte Walter Gerhards sofort Polizei und Feuerwehr. Im Reisebus liegen -Êkreuz und quer - 35 Passagiere. Die meisten sind verletzt, vier davon sehr schwer.
Gestern hat das Bonner Amtsgericht den 52-jährigen Busfahrer aus Espelkamp, der für die Isenstedter Firma »Tappe Reisen« unterwegs war, wegen Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässiger Körperverletzung in 27 Fällen verurteilt: Zwei Jahre Haft auf Bewährung, Entzug der Fahrerlaubnis und eine Führerscheinsperre für ein weiteres Jahr. Der Angeklagte sei damals weder »geistig noch körperlich in der Lage« gewesen, sich an das Steuer eines Busses zu setzen.
Bis es zu diesem Richterspruch kam, hat es Stunden gebraucht. Denn der Busfahrer - der bei dem Unfall am schwersten verletzt wurde - hatte lange bestritten, übermüdet gewesen zu sein. Er sei von der Sonne geblendet gewesen, das Schutzrollo sei immer wieder hochgegangen, erzählte er. Der Richter aber glaubte ihm nicht - und drohte dem Angeklagten mit einer empfindlichen Gefängnisstrafe, falls er kein Geständnis ablegt: Schließlich rang er sich zur Wahrheit durch: »An dem Tag wurde mir plötzlich schwarz vor Augen. Alles war wie im Nebel gewesen. Da habe ich die Kontrolle über das Steuer verloren.«
Der Hintergrund für die Übermüdung und Kreislaufschwäche wird schnell klar: In den drei Tagen vor dem Unfall war der Busfahrer ohne Unterbrechung unterwegs gewesen: Rostock - Hamburg -ÊBremen - Paris und zurück. Dabei hatte er sich zwar mit einem Kollegen abgewechselt, aber in einem fahrenden Bus falle ihm das Schlafen in der Koje sehr schwer, so der Angeklagte.
Und schließlich: Kaum war er zurück in Isenstedt, erhielt der Angeklagte von dem Unternehmen »Tappe Reisen«, bei dem er seit Beginn der 90er Jahre angestellt ist, die nächste Tour: Nur eine Stunde Pause, dann brach er alleine auf, um in den frühen Morgenstunden im oberbergischen Wipperfürth die neuen Reisegäste einzusammeln. Als der Unfall passierte, hatte der Busfahrer 25 Stunden kein Bett gesehen.
Aus Angst, seinen Job zu verlieren, habe er den Auftrag nicht abgelehnt, sagt der Busfahrer, der bis heute durch den Unfall arbeitsunfähig ist. Bei allem Verständnis, so das Gericht, habe er massiv gegen die gesetzlichen Vorschriften verstoßen, die bei Bus- wie auch Lkw-Fahrern genügende Schlaf- und Ruhezeiten vorschreiben. Das sei verantwortungslos, erklärte der Richter in seinem Urteil. »Immerhin haben Sie das Leben von 35 Menschen fahrlässig aufs Spiel gesetzt.«

Artikel vom 29.03.2006