30.03.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Eskalierter Machtkampf

Historiker Laudage über den »Vorabend von Canossa«

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Achtung ansteckend: In Paderborn grassiert das »Canossa«-Fieber. Immer mehr Ausstellungsfreunde zeigen sich von der Vorfreude auf das Ereignis infiziert.

»Wir haben in der Innenstadt keinen größeren Saal zur Verfügung«, entschuldigte sich Museumsleiter Dr. Matthias Wemhoff als Mitgesellschafter der Canossa-Gesellschaft für die drangvolle Enge, die beim dritten »Canossa«-Vortrag am Dienstag Abend im Audimax der Theologhischen Fakultät herrschte. Weit über 300 Geschichtsfreunde wollten dort dem Düsseldorfer Historiker Prof. Dr. Johannes Laudage lauschen, einem der besten Kenner der Salierzeit und laut seinem Paderborner Fachkollegen Jörg Jarnut der Spezialist für die Ereignisse von 1077.
Dabei fühlte sich Laudage mit der Ankündigung seines Vortrags »Heinrich IV. als Stratege« zunächst missverstanden. Er sei gekommen, um die Situation »Am Vorabend von Canossa« als die »Eskalation eines Konflikts« darzustellen. Tatsächlich habe der Salierkönig im Januar 1077 vor Canossa das Heft des politischen Handelns kaum noch in der Hand gehabt. Der Bußgang zu Papst Gregor VII. sei letztlich die einzige Möglichkeit für ihn gewesen, sein Königsamt zumindest vorübergehend noch zu retten.
Dennoch zeichnete Laudage in seinem leicht verständlichen und regelrecht spannenden, dabei stets an Originalquellen orientierten Vortrag nach, dass Heinrich IV. seine winterliche Alpenüberquerung zur norditalienischen Burg Canossa mit Kalkül unternahm. Nachdem der Konflikt mit dem Papst außer Konrolle geraten war - Heinrich widersetzt sich dem Verbot, selbst Bischöfe zu ernenen, und mobilisiert zwei Drittel des deutschen Episkopats gegen Gregor -, wuchs der Widerstand der kirchentreuen Fürsten und der aufständischen Sachsen.
Nach der vom Papst ausgesprochenen Exkommunikation setzten ihm die deutschen Fürsten das Ultimatum, sich innerhalb eines Jahres wieder mit der Kirche auszusöhnen. Heinrich habe bei seinem Bußgang dann auf das christliche Heilsversprechen vertrauen dürfen, demzufolge einem reuigen Sünder vergeben werden müsse. Durch geschickte Mentoren habe er den Papst zur Rücknahme der Exkommunikation bewegen können. Politisch konnte sich Heinrich trotzdem nicht mehr retten: schon einen Monat später wählten die deutschen Fürsten mit Rudolf von Rheinfelden einen Gegenkönig.
Der Bußgang nach Canossa sei für Heinrich dennoch als Teilerfolg zu werten, kommentierte Laudage das bis heute nachwirkende Ereignis. »Der König hat keine vollständige Niederlage erlitten.« Auch sei das Problem der Alleinzuständigkeit des Papstes für die Einsetzung der Bischöfe mit diesem Datum nicht entschieden worden. »Der Investiturstreit explodiert nach Canossa erst richtig«, so der Referent abschließend.

Artikel vom 30.03.2006