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Verlangen ist stärker als die Vernunft

Alkoholismus als Sucht war Thema im Heaven & Earth-Gottesdienst

Versmold (aep). Wer sich am Sonntagabend auf einen fröhlichen, leichten Heaven & Earth-Gottesdienst eingestellt hatte, wurde enttäuscht. Denn es ging um ein ernstes Thema, bei dem Gags und flotte Sprüche unangebracht waren. Schon der Titel auf dem großen Plakat vor der Kirche wies auf einen schlichten Gottesdienst hin. Denn dort stand nur ein Wort: »Sucht«.

Im Lexikon klingt die Definition von Sucht ganz einfach und trocken: »Zwanghaftes Abhängigkeitsverhältnis zu Dingen oder Tätigkeiten.« In ihrer Begrüßung las Jutta Appelbaum den Lexikonartikel vor und zählte gleich einige Süchte auf, die sich dahinter verstecken können: Essstörungen, Spielsucht, aber auch harmlose Alltagssüchte wie Naschen, Computerspielen oder Fernsehen. Das Anspiel verdeutlichte, dass Süchte in unserem Leben stecken, die wir meistens gar nicht als solche wahrnehmen.
Der Gottesdienst drehte sich im Weiteren nicht mehr um Alltagsdrogen, sondern um Alkoholismus. Von diesem Problem wisse sogar schon das Alte Testament zu berichten, erzählte Religionslehrer Werner Beine den 227 Gottesdienstbesuchern in seiner Ansprache. Alkohol bedeute eine Flucht vor den Problemen des Alltags, aber am nächsten Tag sei alles noch schlimmer. Die Konsequenz sei oft, dass wieder zum Alkohol gegriffen werde. Natürlich sei denen, die trinken, klar, dass der Alkohol ihre Probleme eher größer als kleiner mache. »Das nennt man dann Sucht, wenn das Verlangen stärker wird als die Vernunft«, erklärte der Lehrer. Seine Schwäche zuzugeben, sei nicht leicht und so vertusche man seine Sucht. Auch die Angehörigen würden dies oft aus Scham unterstützen.
Dieser Umstand wurde auch in dem Vortrag von Pfarrer Dirk Leiendecker deutlich. Er skizzierte den Werdegang eines Alkoholikers. Angefangen beim gelegentlichen Trinken bis hin zum totalen Chaos, wo das Verlangen nach Alkohol alles andere gleichgültig werden lässt. Dazu ertönte eine Orgelimprovisation von Hadlef Gronewold. Der Versmolder Kantor hatte Leiendeckers Worte musikalisch umgesetzt. Da er am Sonntagabend nicht in der Petri-Kirche sein konnte, wurde eine Aufnahme abgespielt, die Leiendeckers Worte veranschaulichte. Betroffene Stille herrschte danach unter den Besuchern.
Doch ganz ausweglos sei eine Sucht nicht. Werner Beine sagte in seiner Predigt, man könne es schaffen, den Teufelskreis zu durchbrechen. Dafür brauche man vor allem drei Dinge: »Mut zur Ehrlichkeit, Hilfe von anderen und Gott, der einen nicht verlassen will, und der Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit einfordert.«
Mut zur Ehrlichkeit hatte am Sonntag ein Mitglied der Guttempler-Gemeinschaft: Der Versmolder stand Dirk Leiendecker im Interview Rede und Antwort und berichtete ganz offen von seiner Alkoholsucht. Dank des Beistandes seiner Familie und der Unterstützung bei den Guttempler-Treffen habe er es geschafft, seine Sucht zu besiegen. »Heute trinke ich keinen Tropfen mehr!«, erklärte er stolz. Wer mit einer Sucht fertig werden möchte, dürfe keine Kompromisse machen. Für seinen Mut zur Offenheit und seinen mutmachenden Auftritt bekam er anerkennenden Applaus von den Gottesdienstbesuchern. Nicht wegschauen und über Süchte reden, wurde zum Tenor des Gottesdienstes. Ob als Betroffener, Angehöriger oder auch als Freund dürfe man nicht wegschauen. Mut und Offenheit seien die einzigen Wege aus einer Sucht hinaus.
Denkanstöße und einen etwas anderen Weg zu Gott gibt es das nächste Mal am Gründonnerstag, 13. April. Ausnahmsweise um 19 Uhr findet dann der nächste Heaven & Earth-Gottesdienst statt.

Artikel vom 29.03.2006