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»Bereue nicht, geblieben zu sein«

Ralph Giordano (83) zu Benefiz-Lesung zugunsten des Jacob-Pins-Forums

Von Wolfgang Braun
Höxter (WB). »Was ich hier mit ihrem Bemühen, ein Jacob-Pins-Forum zu schaffen, erlebt habe, das bewegt mich tief«, gestand der Autor Ralph Giordano (83), der auf Einladung der Jacob-Pins-Gesellschaft zu einer Lesung in das Corbie-Palais des Hotels Niedersachsen gekommen war.

Wie stark das Interesse an seiner Person und an seinem Thema »Jacob Pins oder die Schwierigkeit Deutschland wiederzufinden« war, zeigte sich an der großen Zuhörerschar.
Weil die Mutter Jüdin war, fiel die Familie der Giordanos unter die NS-Rassengesetze. »Die Versehrungen, die ich im Dritten Reich in Hamburg erlitten habe, beginnen nicht mit Gewalttaten, sie beginnen damit, dass 1934 mein bester Freund zu mir sagte: ÝMit dir spielen wir nicht mehr, du bist JudeÜ.« In dem Buch »Die Bertinis« hatte er die schlimmen Erlebnisse seiner Familie im Dritten Reich, die nur in der Illegalität überleben konnte, verarbeitet. Der Roman wurde vom ZDF in einem Fünfteiler verfilmt. Giordano hat etwa 20 Bücher veröffentlicht und für NDR und WDR über 100 Fernsehfilme gedreht.
In »Israel, um Himmels willen Israel« schildert Ralph Giordano seine Begegnung mit Jacob Pins in Jerusalem. Er hatte den 1917 in Höxter geborenen Maler und Kunstsammler vor 16 Jahren in seinem Haus in einem wildromantischen Ambiente an der Ethiopia Street 5 besucht. Giordano liefert eine sehr anschauliche Schilderung dieser Begegnung, bei der Pins, der noch 1936 nach Palästina hatte fliehen können, sich vergegenwärtigt, wie er sich im öden Kibbuz im »fürchterlichen Wüstenwind« in der Nähe von Tel Aviv in seine Geburtstadt zurücksehnte: »Ich war doch im Weserbergland in der herrlichen Umgebung von Höxter aufgewachsen. Ich habe in der Weser geschwommen und bin im Wald groß geworden, mit Eidechsen und Schlangen, Mäusen und Feuersalamandern.« Erschütternd, wie Pins berichtete, Ende der achtziger Jahre bei einer Ausstellung zur Geschichte der Juden in Höxter ein Zeitungs-Foto gesehen zu haben, auf dem er seine Eltern erkannt habe: Es war vor dem Abtransport vom Bielefelder Bahnhof nach Riga »ins Nichts, in den Tod« aufgenommen worden.
Mitte der fünfziger Jahre hatte es Pins dann in Jerusalem geschafft, nach Hungerjahren von seinen Einnahmen als Künstler leben zu können. Auch begann er in dieser Zeit, seine Sammlung fernöstlicher Kunst aufzubauen, mit der er - ebenso wie mit seinen eigenen Arbeiten - weltberühmt wurde. In den Sechzigern hat Pins dann auf einer Europareise auch Höxter besucht: »Ich kam mit der Eisenbahn, aber ich war noch nicht aus dem Zug, da wollte ich schon wieder umkehren«, gibt Giordano die Erinnerungen von Pins wieder. Und: »Ich fand Höxter so klein, viel kleiner, als ich es in Erinnerung hatte.«
Trotzdem hatte sich das Verhältnis des Ende 2005 in Jerusalem verstorbenen Ehrenbürgers Höxters zu seiner Heimatstadt in einer Weise entwickelt, die Giordano sehr bemerkenswert erscheint. »Das so etwas möglich ist, bestätigt mich darin, dass es richtig war, in Deutschland geblieben zu sein«, bekennt Giordano, der im Dritten Reich die Gestapo-Folter hatte über sich ergehen lassen und der mit seinen drei Brüdern und seinen Eltern jahrelang in Todesangst gelebt hatte. »Wir haben den Wettlauf zwischen der Endlösung der Judenfrage und dem Endsieg der Alliierten dank der Hilfe einer mutigen deutschen Nachbarin gewonnen«, bringt er die bedrohliche Dramatik auf den Punkt. Obwohl seine Übersiedlung nach Palästina vorbereitet war, habe er sich auch deshalb entschieden, in Deutschland zu bleiben, weil er spürte, dass »Hitler selbst zwar militärisch besiegt war, nicht aber sein Denken. Was er in den Köpfen angerichtet hatte, war noch lange nicht geschlagen.« Ihm war klar: »Der Kampf geht weiter.«
In seinem Bestseller »Die zweite Schuld« hatte Giordano aufgezeigt, dass es eine »kollektive Entstrafung der Täter« gegeben habe. Beispielsweise sei keiner der Juristen, die vor 1945 etwa 32 000 Todesstrafen wegen Bagatell-Delikten verhängt hätten, je zur Verantwortung gezogen worden.
»Angstfreie Gespräche« führen zu können, das sei das Kostbarste, was es geben. Allen Versuchen - von rechts oder links - diese Freiheit einzuschränken, müsse entschiedener Widerstand entgegen gesetzt werden.
Er habe den Heisterman-von-Ziehlbergschen Adelshof besucht, schloss Giordano. »Jacob Pins hat sich sehr darüber gefreut, dass hier ein Forum für viele seiner Arbeiten entsteht,«
Am 23. März 2007, wenn das Forum eingeweiht wird, wird Ralph Giordano dabei sein.

Artikel vom 25.03.2006