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Tiefe Einblicke in die Liebe
von »Pat« und »Panne«

Gesche Tietjens liest vor 50 Zuhörern in Galerie Wenzel

Werther (kw). Er bezeichnete sich selbst als »der Schüchterne«, »der Wütend-Gereizte« oder »der verkappte Katholik«: Als Gesche Tietjens, frühere Geliebte des inzwischen verstorbenen Künstlers Horst Janssen, am Mittwochabend aus ihrem Buch »Ach, Liebste, flieg mir nicht weg« mit Briefen von Janssen vorlas, bekamen die Zuhörer in der Galerie Wenzel ganz außergewöhnliche Liebesbriefe und Gedichte zu hören.

Das Interesse an der Lesung, zu der die Buchhandlung Lesezeichen zu ihrem zehnten Geburtstag eingeladen hatte, war groß - so groß, dass sich manche der rund 50 gespannten Zuhörer sogar auf die Treppe setzen mussten. Umgeben wurde Gesche Tietjens jedoch nicht nur von ihrem Publikum: In der Galerie hingen sowohl einige ihrer eigenen Werke als auch einige von Horst Janssen aus.
Tietjens hatte Janssen 1968 in Hamburg kennen gelernt. Auch wenn sie sich beide zunächst eher »gewöhnungsbedürftig« fanden, wurde aus ihnen bald ein Paar. Sie nannte ihn »Pat«, Tietjens selbst wurde von dem Künstler »Panne« genannt.
Die Briefe und Karten, die Janssen an seine Geliebte schrieb, zogen sich über sein ganzes Leben - insgesamt sind es mehr als 170 Stück. Vereinzelt waren auch Briefe an Tietjens Mutter und Großmutter dabei. Die meisten Briefe enthalten eine Kopfzeichnung des Künstlers.
Der Brief, der Janssen als den »verkappten Katholiken« zeigt, beginnt mit den Worten »Tach Püppchen« und enthält eine scheinbar nicht enden wollende Aufzählung von Kosenamen. Nachdem Gesche Tietjens diese Gebets-ähnlich, angelehnt an die Tessiner Litanei, vorlas, reagierte das Publikum mit Szenenapplaus.
Überhaupt schaffte Tietjens es, mit ihrer Vortragsweise die Zuhörer in ihren Bann zu ziehen, die ihrerseits häufig über die zum Teil kauzigen, aber dennoch geistreichen Briefe schmunzelten. So begann der Brief, in dem Tietjens den sehnsüchtigen Janssen wiedererkennt, mit den Worten »Alles Käse ohne Dich«. »Als ÝHyper-EmpfindlicherÜ erklärt er, wie er sich ärgert, wenn er sich ärgern willÜ, brachte Tietjens die Zuhörer zum Schmunzeln.
Mit einem Janssen-Gedicht von 1973 zeigte Tietjens, wie sehr ihm die Sprache dienlich war. Über seinen Tod 1995 erklärte sie: Obgleich Janssen in seinem Leben zuweilen dem Alkohol zugeneigt war, sei der Tod »sein Feind Nummer eins« gewesen, der sich sogar schon in Janssens Kindheitstexten wiederfinden lässt. Die Stationen von Janssens Leben beleuchtet das neue Buch »Summa Summarum«.
»Ein Vergleich der Kunstwerke von Horst Janssen sei nicht möglich«, erklärte Tietjens. Dennoch hätten beide immer ein klares Konzept von einer Zeichnung haben wollen. »Er hat immer gesagt: Gesche weiß, was eine gute Zeichnung ist - nur herstellen kann sie sie nicht«, lachte Tietjens.

Artikel vom 24.03.2006