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Heine sitzt mit am Tisch

Schauspielerin Therese Berger beeindruckt mit Lesung

Steinhagen (WB). Es ist, als wäre Heine selbst anwesend. So eng fühlt man sich ihm, dem großen deutschen Dichter, verbunden. Und das allein dank der Kraft einer Stimme. Der von Therese Berger. Die Bielefelder Schauspielerin verstand es in ihrer Lesung am Montagabend in der Buchhandlung Lechtermann meisterhaft, Heine zum Leben zu erwecken - mit der ganzen Zerrissenheit seiner Persönlichkeit und der Genialität seines umfassenden Werkes.
Heinrich Heine, heiß geliebter und vielgeschmähter Dichter des 19. Jahrhunderts, wurde dank Therese Berger (re.) am Montag in der Buchhandlung von Susanne Lechtermann lebendig. Foto: Bluhm-Weinhold
So fesselnd ihr Vortrag, so eindringlich ihr Tonfall. Die Worte nehmen die rund 40 Zuhörerinnen und Zuhörer gefangen, lassen sie atemlos lauschen. Eine unglaubliche Spannung liegt in der Luft. Und Therese Berger hält sie über die ganze - viel zu kurze - Stunde. In Briefen und Lyrik zeigt er sich, der Romantiker und Realist, der Feuilletonist und Poet, der Jude und Christ, dem die Taufe doch nicht automatisch das Entree in die europäische Kultur eröffnet, der Emigrant, der doch nicht loskommt von der Heimat. »Ein Wanderer zwischen den Welten« nennt ihn Oliver Stümann. Der Steinhagener Ausstellungsmacher und Autor hat mit Therese Berger neben anderen auch diese Lesung zum 150. Todestag Heinrich Heines vorbereitet.
Die Textauswahl ist gut getroffen und spannt sich - in chronologischer Abfolge - als ein bunter Bogen durch Heines Leben (1797 bis 1856). Vom Geburtshaus in Düsseldorf bis zur Pariser »Matratzengruft«. Therese Berger springt zwischen der Leichtfüßigkeit, auch der augenzwinkernden Ironie der Liebesgedichte, dem befreiten, fast schwärmerischen Ton der ersten Zeilen der »Harzreise«, den gewaltigen Bildern etwa in der »Lorelei« und den schwermütigen Fragen nach der Bedeutung des Menschen, der sich »Am Meer« so einsam unter dem kalten Firmament ausmacht, und landet bei der Bitterkeit der letzten, schwerkranken Jahre.
Ätzend der Spott, mit dem Heine Gesellschaft und Vaterland überzieht: Göttingen, die Stadt, in der er studiert hat, »gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht«. Mit Dichterfürst Goethe hat er so seine Probleme: Der junge Poet küsst noch »die heilige Hand, die mir und dem ganzen deutsche Volk den Weg zum Himmelreich gezeigt hat«. Als er Missfallen erntet, wird Goethe für ihn zum »Aristokratenknecht«. Messerscharf die Stiche gegen Politik und Staat, die ihm 1835 Schriftverbot einbringen: »Deutschland, wir weben dir dein Leichentuch«, stöhnen die ausgebeuteten »Schlesischen Weber«. Dunkel die »Nachtgedanken«: »Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht.« Das ist aktuell wie nie: »So ist das«, raunt es im Publikum.
Einen wundervollen Abend mit Heine hat Therese Berger den Steinhagenern beschert. Gut zu wissen, dass die Grande Dame des Bielefelder Theaters schon bald wiederkommt. Wenn das Schlichte Carree am Sonntag, 7. Mai, das »Mozart-Jahr« (250. Geburtstag) feiert, ist sie mit dabei. Annemarie Bluhm-Weinhold

Artikel vom 22.03.2006