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Könnte Helena (16)
heute noch leben?

Tödlicher Skaterunfall: Messung bringt Klarheit

Von Judith Frerick
Kreis Gütersloh (WB). Betretenes Schweigen bei »Zaungästen« und Polizei. Die viel befahrene B 55 ist am Sonntag ab 19 Uhr eine Geisterstraße und für gut zwei Stunden von den Beamten gesperrt. Nur zwei Autos und eine 1,56 Meter große Puppe. So groß war die 16-jährige Inlineskaterin Helena, die am 19. Februar abends in Langenberg in Höhe der Alten Wiedenbrücker Straße von einem betrunkenen Vectra-Fahrer erfasst wurde (wir berichteten).

Helena hatte vor einem Monat keine Chance, das Mädchen aus Langenberg starb im Krankenhaus. Ob der Autofahrer aber eine Chance zum Bremsen hatte, das ermitteln zwei Sachverständige der Bielefelder Dekra, Uwe Hagemann und Wolfgang Bühren, am Sonntag. Sie bauen alles akribisch auf, zeichnen in Zehn-Meter-Schritten Balken auf die Fahrbahn und den zurückgelegten Weg von Helena nach, der an einem dicken Kreuz endet. Hier wurde die 16-Jährige, die von der Alten Wiedenbrücker Straße hinter ihrem Bruder Viktor (18) die B 55 überqueren wollte, von dem Wagen erfasst. Der Puppe wird die Originalkleidung der Schülerin übergestreift: eine graue Jacke und eine hellblaue Jeans. Schon jetzt wird klar, dass die Hose die meisten Reflektoren der Inliner überdeckt.
Kurz nach 19 Uhr setzt sich Wolfgang Bühren in einen baugleichen Vectra, der in Richtung Wiedenbrück unterwegs ist. Kollege Hagemann schwingt sich in entgegen gesetzter Richtung in das Auto eines Zeugen. In Fünf-Meter-Schritten bewegen sich beide Fahrzeuge langsam auf die Puppe zu, die ebenfalls immer mehr auf die Straße gezogen wird. Und immer wieder setzen die Dekra-Experten ihr Leuchtdichtemessgerät ein, das den dynamischen Realfall statisch festhält. Uwe Hagemann erklärt das so: »Das Gerät nimmt die synchronisierten Einzelpunkte auf«. Darüber erfahren die Dekra-Mitarbeiter, wann Helena in den Lichtkegel des betrunkenen Autofahrers kam und ob der Mann noch hätte bremsen können. »Wir haben zwar eine Ahnung, machen aber noch keine Angaben zum Ergebnis«, hält sich Hagemann bedeckt. Und auch Wolfgang Bühren will sich vor Ort nicht zu dem aktuellen Fall äußern: »In vier Wochen wissen wir mehr. Dann liegt die Auswertung vor«.
Polizeisprecherin Ellen Haase schnürt nach dem lichttechnischen Gutachten, das um 20.08 Uhr im »Kasten« ist, ihre Inlineskates. Sie stellt die Fahrt Helenas noch einmal nach - zunächst ohne Reflektorenjacke, dann mit. Dabei wird klar, dass sie beim zweiten Mal wesentlich besser zu sehen ist. »Ich will nicht sagen, dass der Unfall mit einer entsprechenden Sicherheitsausrüstung glimpflicher ausgegangen wäre. Auf gar keinen Fall. Aber ich will darauf aufmerksam machen, wie wichtig Protektoren sind - und dazu gehören ein reflektierender Helm und anderer sichtbarer Schutz, eine Weste sowie Reflektionsstreifen an Kleidung und Schuhen. Eine hellblaue Hose, wie Helena sie trug, bringt nichts«, macht Haase deutlich, die bereits 2002 nach einem tödlichen Inliner-Unfall in Verl an einer solchen Messung teilnahm. Seither tingelt Haase in Sachen Prävention durch sämtliche Schulen, um die Skater, Radfahrer und Fußgänger wachzurütteln. In dieser Woche ist sie in der Wiedenbrücker Osterrath-Schule zu Gast. In der Batenhorster Hubertus-Halle übt sie mit den Schülern unter anderem das Bremsen (»Viele können das nicht. Und das kann gefährlich werden«). Anhand von Fotos einer solchen Messung verdeutlicht Haase außerdem, wie wenig man sieht, falls die Kleidung nicht reflektiert. Aufklärung ist für die engagierte Frau alles, und so verteilt sie unter dem Motto »Schlauer Schutz für kluge Köpfe« auch kostenlos Reflektoren.OWL

Artikel vom 21.03.2006