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Aus elf Metern auf den Thron:
Andreas Brehme blieb eiskalt

Die WM 1990 in Italien: Deutschlands Revanche gegen Argentinien

Von Klaus Lükewille
Rom (WB). Das Tor, das die Tür zum WM-Triumph 1990 öffnen sollte, fiel schon 15. November 1989 in Köln. Thomas Häßler schoss im letzten Qualifikationsspiel mit dem 2:1 gegen Wales den Weg frei.

»Das war verdammt eng«, erinnert sich Kapitän Lothar Matthäus noch heute, »wir hätten damals fast die WM-Endrunde in Italien verpasst.« Quali-Qual 1989 und Vorrunden-Freude im Juni 1990: Denn unter der Regie von Matthäus starteten die Deutschen mit einem glanzvollen 4:1-Erfolg gegen Jugoslawien in das Turnier.
»Dieses starke Spiel hat der Mannschaft viel Selbstvertrauen gegeben«, stellte Franz Beckenbauer damals erleichtert fest. Der »Kaiser« durfte sich auch beim zweiten Auftritt freuen. Die Pflichtaufgabe gegen die Vereinigten Arabischen Emirate erledigte seine Auswahl locker mit 5:1.
Da reichte zum Abschluss ein 1:1 gegen Kolumbien, denn Deutschland stand bereits nach zwei Partien im Achtelfinale. Und hier sollte es schon zu einem hoch brisanten Duell kommen. Der Gegner in Mailand: die Niederlande. »Da haben wir ja noch eine Rechnung offen«, stachelte Beckenbauer sein Team an. 1988, bei der EM vor eigenem Publikum, hatte das Oranje-Team die DFB-Auswahl im Hamburger Halbfinale mit 2:1 ausgeschaltet.
»Jetzt sind wir mit einem Sieg an der Reihe«, forderte Vorstopper Jürgen Kohler. Danach sah es in der ersten Viertelstunde nicht aus. Die Niederländer waren klar überlegen, verschenkten aber leichtfertig dickste Tormöglichkeiten. Doppel-Rot veränderte den Kurs auf dem Platz: Frank Rijkaard hatte Rudi Völler bespuckt, der Deutsche musste ebenfalls in die Kabine. Zehn gegen Zehn - das war dann die Ein-Mann-Show des Jürgen Klinsmann. Er machte das Spiel seines Lebens, beschäftigte die Gäste-Abwehr im Alleingang, besorgte die Führung. Andreas Brehme erhöhte auf 2:0, ein Koeman-Elfmeter war nur noch Ergebnis-Kosmetik: Deutschland stand im Viertelfinale.
Hier reichte ein Elfmeter von Matthäus, um die Tschechen auszuschalten. Doch der Sieger Beckenbauer spielte noch in der Kabine den Wüterich. Er warf seiner Truppe eine lässige bis fahrlässige Einstellung vor, trat wütend gegen die Tür und tobte: »So scheitern wir im Halbfinale garantiert.«
Kaiserliche Kritik, die Wirkung zeigte. Gegen England präsentierte sich in Turin eine ganz andere deutsche Auswahl. Motiviert, konzentriert - und diszipliniert. Dazu nervenstark. Denn die Partie wurde aus elf Metern entschieden. 1:1 nach 120 Minuten. Jetzt trafen sie alle, die Deutschen: Brehme, Matthäus, Karl-Heinz Riedle und Olaf Thon. Pearce scheiterte an Bodo Illgner, Waddle jagte die Kugel in den Turiner Nachthimmel - und die DFB-Auswahl durfte wieder nach den WM-Sternen greifen.
Der Gegner in Rom: erneut die Argentinier, der finale Gewinner von 1986. Wie schon gegen die Tschechen und die Engländer sollte ein Strafstoß die Entscheidung bringen. Trotz drückender Überlegenheit war den Deutschen gegen die total defensiv eingestellten Südamerikaner bis zur 84. Minute kein Treffer gelungen. »Dann hat der Rudi Völler ein bisschen nachgeholfen«, grinste Beckenbauer später.
Der Völler-Fall - nicht unbedingt ein Elfmeter, aber Schiedsrichter Mendez aus Mexiko zeigte trotzdem auf den Punkt. Matthäus, der zuständige Spezialist, er kniff: »Ich musste in der Halbzeit die Schuhe wechseln. Deshalb fühlte ich mich nicht sicher.« Brehme blieb eiskalt und haute die Kugel in den Kasten.
Ein verdienter Sieger, aber schlechte Verlierer. Monzon und Dezotti flogen vom Platz, der große Diego Maradona, von Guido Buchwald abgemeldet, gratulierte mit versteinerter Miene. Aber wen störte das? In der deutschen Kabine gab es nur strahlende Gesichter. Mittendrin und voll dabei: Kanzler Helmut Kohl, dem Pierre Littbarski eine Sektdusche verpasste. Im »Rausch« war dann auch Beckenbauer, der eine Stunde nach dem Abpfiff verkündete: »Wenn jetzt die Spieler aus der DDR noch dazu kommen, sind wir auf Jahre hinaus unschlagbar.«
Wie sich schnell zeigen sollte: Auch »Kaiser« können irren.

Artikel vom 13.05.2006