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Helmut Rahn zappelte am Haken

Am 4. Juli 1954 verfolgt auch Ewald Flohre das Endspiel in Bern am Radio

Von Heiko Johanning
Versmold (WB). Er hat das »Wunder von Bern« 1954 erst möglich gemacht: Helmut Rahn sorgte mit dem 3:2-Siegestreffer dafür, dass Deutschland zum ersten Mal Fußballweltmeister wurde. Was nur wenige wissen, ruft das Versmolder Urgestein Ewald Flohre in Erinnerung: Der »Boss«, wie Rahn damals genannt wurde, hätte um ein Haar für die Sportvereinigung Versmold seine Fußballstiefel geschnürt.

Die Live-Übertragung des Endspiels aus dem Berner Wankdorfstadion machte auch den zwölften Mann berühmt: Hörfunk-Reporter Herbert Zimmermann schilderte das Endspiel so emotionsgeladen, dass er 50 Millionen Menschen in seinen Bann zog. Auch in Versmold saßen an diesem Sonntag Nachmittag viele Menschen an den Radiogeräten. So auch der damals 33-jährige Ewald Flohre. »Es war faszinierend zuzuhören. Herbert Zimmermann hat das Geschehen so dargestellt, als säße man direkt am Spielfeld.«
Im damaligen Gasthaus Schlotte -Ê dem heutigen »Nanu« - hatte Flohre die erste Halbzeit des Fußball-Endspiels Deutschland gegen Ungarn verfolgt. »Ich weiß noch, dass der Saal, in dem der Fernseher aufgebaut war, ziemlich voll war. In der Halbzeitpause bin ich dann nach Hause gegangen«, erinnert sich der damals schon sehr Sportinteressierte. »Dort haben wir dann gemeinsam mit der Familie am Radio weiter gezittert.«
Ausgerechnet Helmut Rahn, der an diesem 4. Juli 1954 zum »Helden von Bern« wurde, hätte beinahe für die Sportvereinigung Versmold Fußball gespielt, erinnert sich Flohre. Begonnen hatte die Karriere von Helmut Rahn 1921 bei Altenessen, wo er von 1938 bis 1946 spielte. Danach wechselte er in die Landesliga zum SC Oelde, für den er 52 Tore erzielte, und schließlich 1950/51 für eine Saison zu den Sportfreunden Katernberg. »Der Viehhändler Heinrich Mense, der sehr viel Fußballverstand hatte, und Heinz Breder, der 1947 als neuer Fußballwart des Kreises Halle gewählt worden war, interessierten sich für Rahn«, sagt Flohre. Breder spielte bereits als 17-Jähriger für die erste Fußballmannschaft des VfL Schildesche. Mit Sepp Herberger, dem legendären Bundestrainer des Fußballweltmeisters, machte Breder als 16-Jähriger 1946 im Sportbundheim in Duisburg Bekanntschaft. Den letzten Lehrgang absolvierte er bei ihm als Übungsleiter an der Sporthochschule Köln.
»Es war vielleicht Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre, als Heinrich Mense und Heinz Breder sich auf den Weg nach Oelde machten. Dort hatten sie versucht, Helmut Rahn zu überreden, für Versmold zu spielen«, erinnert sich Flohre. Rahn wohnte zu dieser Zeit angeblich bei einem Bauern in Oelde. Warum er letztendlich das Angebot doch ablehnte, weiß auch Flohre nicht mehr. »Es wurde nicht viel darüber gesprochen. Hätte Rahn zugesagt und in Versmold gekickt, hätte er wohl kaum 1954 für die deutsche National-Mannschaft gespielt und das entscheidende 3:2 geschossen«, mutmaßt Flohre heute. »Für uns Deutsche war dieser Sieg eine Sensation. Es gab weder eine Bundesliga noch eine Vor- oder Nachberichterstattung von Länderspielen in den Medien. Dazu kam, dass Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges langsam wieder Selbstbewusstsein erlangte. Da wurde dieser Sieg über Ungarn ein großes Ereignis«, erinnert sich der heute 84-Jährige gerne zurück.

Artikel vom 18.03.2006