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Arznei-Test mit
Horror-Folgen

Was lief falsch beim Versuch in London?

London (dpa). Anfangs war es ein Medikamententest, wie sie jährlich zu Tausenden in Kliniken stattfinden. Acht gesunde Männer zwischen 18 und 40 Jahren sollten dafür jeweils 2000 Pfund, also knapp 3000 Euro, bekommen.

Am Sonntagabend fanden sie sich im Northwick-Park-Krankenhaus in London ein, unterschrieben die 16-seitige Freiwilligkeitserklärung. Nach einer ersten Nacht in einer gesonderten 36-Betten-Klinik der US-Firma Parexel, die für die Testabwicklung verantwortlich ist, ließen sie sich ein Medikament aus deutscher Entwicklung verabreichen, das bislang lediglich im Tierversuch getestet worden war.
Zwei der Männer hatten Glück: Sie bekamen, per Zufall ausgewählt, anstelle des Präparats mit der Bezeichnung TGN 1412 nur ein wirkungsloses Placebo-Mittel. Für die anderen geriet das Experiment mit der Arznei des Würzburger Pharma-Unternehmens TeGenero zum Fiasko: Extreme allergische Reaktionen führten zu multiplem Organversagen. Alle sechs lagen auch gestern auf der Intensivstation, zwei von ihnen schwebten drei Tage danach noch in Lebensgefahr.
»Mein Freund sieht aus wie der Elefantenmensch«, berichtete Myfanwy Marshall schockiert. Der 28-Jährige und ein 21-Jähriger ringen ums Überleben. Raste Khan (23), einer der beiden Placebo-Patienten, berichtete, dass die anderen schon bald nach der Medikamentengabe »wie Dominosteine umgekippt« seien. »Zuerst haben sie ihre Hemden ausgezogen, weil sie über Fieber klagten. Dann haben einige geschrien, dass ihre Köpfe gleich explodieren würden.« Grotesk seien die bis auf dreifache Größe angeschwollen.
Ärzte wie Hersteller stehen vor einem Rätsel. Absolut unvorhersehbar seien diese Folgen gewesen, heißt es. TeGenero entschuldigte sich bei den Angehörigen der Versuchsopfer. Forschungschef Thomas Hanke sagte, im Tierversuch habe es kein Problem gegeben. In den vergangenen 15 Jahren habe es bei derlei klinischen Studien in ganz Europa keinen einzigen Fall mit lebensbedrohlichen Reaktionen gegeben, sagte auch ein Sprecher des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller: »ein vollkommener Albtraum.«
Wurden bei der Herstellung des Teststoffs Fehler gemacht? War bei der Verabreichung des Medikaments etwas verunreinigt? Haben sich die Tester bei der Dosierung des Mittels geirrt, das eigentlich einmal gegen Multiple Sklerose, Blutkrebs und rheumatische Arthritis helfen sollte? War es nicht falsch, allen Probanden gleichzeitig das Mittel zu geben?
Scotland Yard hat sich in die Ermittlungen eingeschaltet - und Angehörige haben eine Anwältin beauftragt: Auf die beteiligten Firmen rollen jetzt möglicherweise Millionenforderungen zu.

Artikel vom 17.03.2006