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IOC-Vizepräsident
Thomas Bach

»Ich habe das Gefühl, dass wir weniger ein Gesetzes-, als ein Vollzugsdefizit haben.«

Leitartikel
Doping in Deutschland

Ein bisschen
kriminell
darf es sein


Von Oliver Kreth
Seit gestern ist es »amtlich«: In Deutschland wird weniger gedopt. Von den 800 Tests, die die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) im vergangenen Jahr durchgeführt hat, waren 67 »positiv« - fünf weniger als 2004. 14 Auffälligkeiten gingen dabei auf Cannabinoide (Cannabis) zurück.
Ist also alles gut im Dopingland Deutschland, brauchen wir überhaupt ein Anti-Doping-Gesetz, oder reicht es, nur die Händler und Trainer zu kriminalisieren?
Die nationalen Sportorganisationen führen sich gerne als Saubermänner auf. Sicher ist, dass nirgendwo auf der Welt so viel getestet wird wie in Deutschland, was übrigens nach nicht so erfolgreichen Sportgroßveranstaltungen gerne öffentlich hinterfragt wird, nach dem Motto: Testen wir uns schlecht?
Konsequentes Handeln -Ênein, danke. Anders als in Frankreich und in Italien will man kein Anti-Doping-Gesetz. Kriminell soll weiter nur der »Überbringer« und nicht der Konsument sein. Der Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, der Tauberbischofsheimer Anwalt Thomas Bach, glaubt, dass in Deutschland die gesetzliche Grundlage nicht unbedingt fehle. Das Arzneimittelgesetz verfüge über Lösungsansätze. Er plädiert deshalb für eine gesetzgeberische Verbesserung, sieht nur ein Vollzugsdefizit. Ein bisschen realitätsfremd ist ja niedlich, aber es packt das Übel nicht bei seinen ausufernden Wurzeln.
Deutschland ist nämlich mitnichten clean. Und auch nicht auf dem Weg dorthin. Neben dem Spitzensport, dem sich die NADA widmet, hat die Dopingseuche schon lange nicht nur die Bodybuilding-Buden erfasst. Ganz bitter: Auch im Behinderten- und Seniorensport wird gespritzt und geschluckt, was der Medizinschrank hergibt. 70-Jährige pumpen sich mit Anabolika und Wachstumshormonen voll, Behinderte pumpen sich den Bizeps fast bis zum Platzen auf. Frei nach dem Motto: Ohne Dope no hope auf Selbstbestätigung auf dem Sportplatz.
Bach und auch NOK-Boss Klaus Steinbach - der Chef der nationalen Olympioniken ist Orthopäde -Êbetreiben bei der Nicht-Kriminalisierung Geschichts-klitterung. Denn im Regelfall sind es die Athleten, die nach den illegal leistungssteigernden Mitteln schreien. Und nicht immer sind es die Trainer, die für den Nachschub sorgen. Sportler-Reisen nach Rumänien erfreuen sich übrigens derzeit wachsender Beliebtheit - nicht nur wegen der Sonne am Schwarzen Meer.
Ganz ausmisten wird man diesen Saustall nie. Aber man sollte es ernsthaft versuchen. Denn Doping ist nicht nur ein gewaltiges Gesundheitsrisiko, sondern - auf Sportdeutsch - ein riesiger Beschiss an den Konkurrenten und ein illegal verschaffter Vermögensvorteil. Die Sportorganisationen haben jetzt wieder bewiesen, dass sie nichts dagegen haben, dass es ein bisschen kriminell bleiben darf. Es wird Zeit, dass ihnen für diese Einstellung endlich die Rote Karte gezeigt wird.

Artikel vom 17.03.2006