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»Wunderbarer
Weggenosse«

Siegfried Lenz wird heute 80

Von Matthias Hoenig
Hamburg (dpa). Seit dem Welterfolg »Deutschstunde« (1968) gehört Siegfried Lenz zu den großen Schriftstellern der deutschen Nachkriegsliteratur. Heute wird der aus Ostpreußen stammende und in Hamburg lebende Autor 80 Jahre alt.
Nicht ohne meine Pfeife: der Schriftsteller Siegfried Lenz.Foto: dpa

Doch der Festtag wird überschattet vom Tod seiner Frau Liselotte Anfang Februar - 57 Jahre waren beide verheiratet. Zwei Tage nach dem wohl traurigsten Geburtstag des Autors laden an diesem Sonntag in Hamburg der NDR und Lenz' langjähriger Hausverlag Hoffmann und Campe zu einer feierlichen Matinee mit Politikern und Autoren, darunter Günter Grass, Daniel Kehlmann, Marcel Reich-Ranicki und der israelische Autor Amos Oz als Festredner. Der NDR überträgt die Hommage (11 Uhr) live.
Die Freunde wollen ihren »Siggi« ehren und feiern. Sie schätzen seine Liebenswürdigkeit, seine moralische Integrität und natürlich sein literarisches Schaffen. »Siegfried Lenz - er begann früher zu schreiben als ich - ist ein wunderbarer Weggenosse seit meinen literarischen Anfängen bis in unsere alten Tage hinein«, sagt Grass (78). Der Nobelpreisträger nennt Lenz einen Kollegen, »dessen Werk ich mit Respekt und Bewunderung sehe, so unterschiedlich wir auch sind«.
Um das Werk zu verstehen, ist bei Lenz ein Blick auf die Biografie noch wichtiger als bei anderen Autoren. »Traumatisches Erinnerungsgepäck« begleitet ihn aus Kindheit und Kriegsjugend. Am 17. März 1926 wird Lenz in der ostpreußischen Kleinstadt Lyck, der »Perle Masurens«, als Sohn eines Zollbeamten geboren. Die Ehe der Eltern scheitert, der Junge wächst bei der Großmutter auf. Als Junge bricht Lenz im Eis ein und ertrinkt fast im Lycker See. Der »Pimpf« Siegfried ist glühend bei der Sache, steht Spalier, wenn es NS-Größen nach Lyck verschlägt. Doch die Verführungen des NS-Regimes werden mit dem Kriegseinsatz seit 1944 auf dem Panzerkreuzer »Admiral Scheer« durch die grausame Wirklichkeit entlarvt.
Wenige Tage vor Kriegsende desertiert Lenz, nachdem jemand liquidiert worden war: »Sie brauchten einen Toten, um uns an ihre Macht zu erinnern.« Kriegsgefangenschaft, ein mit Schwarzhandel finanziertes Lehrerstudium und Journalismus folgten, ehe Lenz nach seinem erfolgreichen Debütroman »Es waren Habichte in der Luft« (1951) sein Brot als freier Schriftsteller verdiente. Anfangs ließ sich Lenz stark beeinflussen von Hemingway, Faulkner und den Existenzialisten Sartre und Camus.
Extreme Situationen, Auflehnung, Flucht, Freundschaft und Verrat gehören zu Lenz' Themen. »Die Welt zu entblößen, und zwar so, dass niemand sich in ihr unschuldig nennen kann«, umriss Lenz in einem Essay seinen Anspruch an die Literatur.
In seinen beiden besten Romanen »Deutschstunde« (1968) und »Heimatmuseum« (1977) geht es um Vergangenheitsbewältigung. Die in zahlreiche Sprachen übersetzte und 2,25 Millionen Mal verkaufte »Deutschstunde« macht das Verhältnis von Macht und Kunst zum Thema am Beispiel des Malverbots für den Maler Nansen, Vorbild war Emil Nolde. Es geht aber auch um einen pervertierten Pflichtbegriff.

Artikel vom 17.03.2006