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Als der Krautrock geboren wurde

Der Herforder Musikjournalist Günter Scheding arbeitet an einem 1000-Seiten-Buch

Von Hartmut Horstmann
Herford (HK). Rio Reiser und der »König von Deutschland«, die Band Kraftwerk, die auf der Elektroautobahn fährt: Mit der Geschichte der deutschen Rockmusik beschäftigt sich der Herforder Günter Scheding. Der 57-jährige Journalist arbeitet an einem umfangreichen Buch, das Ende kommenden Jahres fertig sein soll.

Über Jahrzehnte hat Scheding, der in Hüllhorst geboren wurde, journalistisch mit Rockmusik zu tun gehabt. So arbeitete er an der bekannten Reihe »Sympathy for the devil« mit. Dabei ist er nicht nur Chronist oder Musikhistoriker, sondern jemand, der auch mitgemischt hat. Und zwar im Fall der alten Herforder Band »Missus Beastly« im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Scheding produzierte die erste LP der Gruppe, die damals ihren Proberaum in Hüllhorst hatte.
»Missus Beastly« gehörte zu den deutschen Bands, die bemüht waren, einen Stil zu schaffen, der die anglo-amerikanische Musik nicht einfach nur kopierte. Diese Abnabelung von der geographischen Wiege des Beat quittierten die Engländer leicht spöttisch mit dem Begriff »Krautrock«.
Bands wie Can, Kraftwerk oder Amon Düül kamen Ende der 60-er/Anfang der 70-er aus dem elektronisch-experimentellen Bereich. »Mir geht es um den eigenständigen Weg, den solche Gruppen versucht haben«, sagt Scheding. Dieser Anspruch bildet auch ein Ausschlusskriterium für das Buch. So komme eine Band wie die »Scorpions« nicht vor.
Für den Autor geht es neben der bloßen Musik auch um die Haltung der Künstler: »Die eigenständige Rockmusik war als Jugend- und Subkultur eine Form des Protestes.« Lange Haare, lange Lieder, die mit den Vorgaben des dreiminütigen Heile-Welt-Schlagers brachen: Die Generation, in der Günter Scheding aufwuchs, setzte die berühmten 68er-Zeichen.
»Ein fundiertes Buch über die Anfänge der deutschen Rockmusik fehlt jedoch noch«, sagt Schmeding. Den Anstoß, selbst eines zu schreiben, gab nicht zuletzt der Tod von Rio Reiser im Jahr 1996: »Ich war mit ihm sehr eng befreundet«, erklärt der Herforder. Nachdem die ersten Tränen getrocknet waren, wusste Scheding: »Es wäre schade, wenn das alles von damals verloren gehen würde.« Dabei ist er auch mit Verlagen im Gespräch, die Interesse an dem Buch bekundet haben.
Im Falle von Rio Reiser, der nicht nur König von Deutschland war, sondern auch eine wildere »Ton Steine Scherben«-Vorgeschichte hatte, kann der Journalist auf alte Interviews zurückgreifen. Mittlerweile hat er zudem eine Liste mit 50 Namen erarbeitet. Sie umfasst Musiker wie Helmut Hattler (Kraan), Inga Rumpf oder Lothar Meid (Amon Düül). Einen Teil der Künstler hat er bereits besucht und ausführlich befragt. Von rockigen Rhythmen bis zu elektronischer Musik (Kraftwerk, Can oder Neu) reicht der Klangkosmos, in dem sich die Recherche bewegt.
Schwerpunkt des Buches sollen die Gespräche mit den Musikern sein. Der Herforder will sie in den Einzelporträts unmittelbar und authentisch zu Wort kommen lassen. Zu denen, die die eigene Vergangenheit wieder lebendig werden lassen, zählt auch Wolfgang Kuhlmann. Der Vlothoer, mittlerweile in der Kreisverwaltung tätig, hat mit »Hammerfest« Mitte der 70er Jahre deutschsprachige Dampfrock-Geschichte geschrieben. Auch am Entstehen der »Umsonst und Draußen«-Festivals haben beide entscheidenden Anteil. Bekanntlich fand die erste Veranstaltung dieser Art 1975 in Vlotho statt, und Scheding kann für sich in Anspruch nehmen: »Der Titel ÝUmsonst und DraußenÜ stammt von mir.« Längst ist der Name zu einem Festival-Begriff in ganz Deutschland geworden - ein erfolgreiches Export-Modell aus dem Kreis Herford.

Artikel vom 18.03.2006