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Beklemmend:
Annes Leben

Texte und Geräusche


Von Hans-Joachim Chollet
Paderborn (WV). Ein Schauspieler, ein Musiker, ein Techniker - das war das Aufgebot des »Fliegenden Theaters Berlin«, das am Montagnachmittag auf der Hinterbühne der Paderhalle mit »Anne Frank - verstecktes Leben« innerhalb der 26. Paderborner Puppenspielwochen eine eindrucksvolle multimediale Vorstellung gab.
Vorlage dafür war das bekannte Tagebuch des anfangs 13-jährigen jüdischen Mädchens, das sich zwischen 1942 und 1944 mit seinen Eltern vor den Nazis in einem Hinterhaus Amsterdams versteckte. Auf der spärlich beleuchteten Bühne las der aus dem Dunkel kommende Schauspieler, als ob er seine Wanderschaft unterbräche, ausgewählte Passagen vor, die von einer jungen, frischen, empfindsamen Mädchenstimme aus dem Off ergänzt wurden, situationsbedingt mal neckisch, mal bedrückt, mal verliebt, mal verzweifelt: Das war Anne, und das Publikum spürte zunehmend die sie belastende Bedrohung und Isolation, die mit vom Tonband abgespulten Zitaten aus den Judengesetzen und den Nürnberger Prozessprotokollen unausweichlich wurde.
Der Musiker, der zu Beginn mit »Kein schöner Land« eine falsche Fährte zu legen schien, illustrierte die zumeist düsteren 80 Minuten mit akustischen Ausrufezeichen seines Synthesizers, und der Techniker untermalte die Szenerie mit zeittypischen Geräuschen, aufschreckenden Knalleffekten und verzerrten Filmausschnitten. Anrührend die Szenen mit den kleinen Figuren, die mit Handbewegungen und Lichtwechseln doppeltes Leben im Schattenspiel erhielten, ob beim verhuschten Einzug der Familie ins Hinterhaus oder dem Opfertod der rassisch Verfolgten. Da konnten auch die jiddischen Lieder nicht fröhlich enden, und Celans »Todesfuge« passte genau ins Geschehen.

Artikel vom 15.03.2006