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Das Gefühl, gebraucht zu werden

»Hilde«-Gesellschafterinnen kümmern sich um Menschen mit Demenz

Von Elke Rüger (Text und Foto)
Bad Oeynhausen (WB). Wer zu Hause einen Angehörigen pflegt, der an Demenz oder Altersverwirrtheit leidet, wünscht sich manchmal, für ein paar Stunden die Verantwortung delegieren zu können. Ohne gleich Heimpflege in Anspruch nehmen zu müssen. Eine unkomplizierte Lösung bietet das Projekt »Hilde - Hilfen bei Demenz« der Paritätischen Sozialdienste.

Keine professionellen Pflegekräfte, sondern ehrenamtliche Gesellschafterinnen sorgen hier stundenweise für die meist sehr alten Menschen. Sie geben Zuwendung, begleiten und betreuen sie in ihrer gewohnten Umgebung. In Absprache mit der Familie übernehmen sie Spaziergänge oder einen Arztbesuch mit den Erkrankten. Sie hören ihnen zu, schauen sich alte Fotos mit ihnen an und lesen vor. Auch kleine alltägliche Hilfen etwa beim Ankleiden oder Essen gehören zu ihren Aufgaben.
»Wichtig ist, dass zwischen dem alten Menschen und der Gesellschafterin eine Vertrauensbeziehung wächst«, erklärt Ursel Schellenberg von der »Hilde«-Anlaufstelle in Bad Oeynhausen. »Für die Angehörigen bedeutet das, Zeit für andere Dinge zu haben, und der Betroffene kann weiter im eigenen Haushalt leben.«
Die ehrenamtlichen Gesellschafterinnen werden auf ihre Aufgabe gründlich vorbereitet. Gemeinsam mit den Angehörigen absolvieren sie einen Pflegekursus, 20 Stunden hospitieren sie in einer Tagespflegeinrichtung für Menschen mit Demenz, außerdem gibt es Wochenendseminare, in denen sie alles Notwendige erfahren über die Krankheit selbst, über Alltagsgestaltung, Rahmenbedingungen und auch darüber, was im Notfall zu tun ist. Diese Ausbildung umfasst mindestens 30 Stunden. Danach ist die fachliche Begleitung nicht zu Ende. Regelmäßig werden Treffen und Supervision angeboten. »Man muss seine Erfahrungen mal mit anderen Gesellschafterinnen austauschen können«, sagt Irene Müller, die einen älteren Herren und ihre Nachbarin betreut.
Sie erzählt: »Ich bin verwitwet und lebe allein. Aber ich fühle mich noch so fit und kann einfach noch etwas geben. Und ich bekomme auch etwas zurück. Es ist einfach ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden. Von dem älteren Herrn zum Beispiel lerne ich noch viel. Er ist sehr fröhlich, wenn wir Mühle spielen. Ich habe in diesen wenigen Stunden ja Zeit für ihn. Die Angehörigen haben nebenbei immer noch den Alltag zu bewältigen.«
Auch Ursula Henning fand über das Projekt »Hilde« eine neue Aufgabe für sich. »Als ich jung war, hätte ich das sicher nicht gekonnt«, sagt die gelernte Verkäuferin. »Doch heute habe ich keine Berührungsängste und bin stolz darauf, dass ich noch etwas Sinnvolles machen kann.« Hannelore Ehrlich hatte sich für einen Pflegekursus angemeldet, weil sie neugierig war und mehr über die Krankheit Alzheimer wissen wollte. »Ich denke, es kann jeden selbst oder auch ein Familienmitglied erwischen.« Während des Kurses merkte sie, dass sie sehr gut auch fremden Menschen helfen kann. »Man kann lernen, mit Alzheimerkranken umzugehen.« Sie betreut stundenweise eine ältere Dame, deren Angehörige alle berufstätig sind und sie nur mit einem unguten Gefühl allein zu Hause lassen.
»Wir haben zur Zeit sechs aktive Gesellschafterinnen hier bei der ÝHildeÜ-Anlaufstelle in Bad Oeynhausen«, berichtet Ursel Schellenberg. »Zwei möchten sich noch ausbilden lassen. Wir könnten aber durchaus mehr brauchen. Vielleicht finden sich noch Interessenten für unseren Kursus, der am 16. März beginnt.« Die Gesellschafter bekommen nach ihrer Ausbildung ein Zertifikat. Über die Pflegekasse werden Aufwandsentschädigungen gezahlt. »Die Vermittlung von Gesellschafterinnen ist bei uns Teil einer grundsätzlichen Beratung«, sagt Ursel Schellenberg. »Die Angehörigen sollen über alle Möglichkeiten informiert sein, die der Gesetzgeber bietet. Wenn man sich auskennt, hat man mehr Möglichkeiten, sich Entlastung einzukaufen.«
Erst am 23. Februar hat Ministerialrat Roland Borosch in der St.-Simeons-Kirche in Minden 23 Ehrenamtliche, darunter ein Mann, zertifiziert, die vom Kooperationsverbund Demenz im Kreis Minden-Lübbecke, getragen vom Diakonischen Werk Minden und dem Paritätischen Verein für freie Sozialarbeit, als Gesellschafter ausgebildet wurden. Auch Hannelore Ehrlich und Irene Müller gehörten dazu.
l Der Kontakt ist möglich über das Infotelefon Demenz für den Kreis Minden-Lübbecke, Rufnummer 0 18 04 / 45 33 00.

Artikel vom 15.03.2006