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Stift folgt der Phantasie des Künstlers

»Zeichnen heißt weglassen« - Grafik von Max Liebermann in Paderborn

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WB). Zeichnungen von Max Liebermann präsentiert die Städtische Galerie in Schloß Neuhaus in ihrer neuen Ausstellung.
Max Liebermann: »Selbstporträt, stehend und zeichnend«, Radierung um 1913.

Mehr als 100 Blätter aus der Sammlung des Saarlandmuseums in Saarbrücken, die über ein reichhaltiges Konvolut des Berliner Expressionisten verfügt, ermöglichen in der ehemaligen Reithalle im Schlosspark von Schloß Neuhaus bei Paderborn einen vielseitigen Einblick in das graphische Schaffen von Liebermann (1847-1935). Der »kleinen Form« als Ausgangspunkt und Quelle der malerischen Entfaltung gehörte seine besondere Aufmerksamkeit.
»Die Zeichnung ist die erste Niederschrift der Künstler. Intuitiv, frei und ungehindert folgt der Stift der Phantasie des Künstlers, unter Weglassung jedes Details nur das Wesentliche andeutend«, formulierte er 1921. »Daher verlangt sie auch von dem Beschauer eine tätige Mitarbeit, um zu ergänzen, was die Zeichnung wegließ und weglassen musste.«
In den Paderborner Schauräumen lässt man sich gern zu genauem Hinschauen ermuntern. Mit zielsicherem Strich erfasst der zu den führenden Vertretern der »Berliner Secession« gehörende Kunstdozent sein Motiv - immer auf der Suche nach dem authentischen Ausdruck, der treffenden Situation. Gerade in seinen Skizzenblättern lässt sich das Bemühen um Klarheit und Natürlichkeit ablesen. Das gleiche Motiv wird dort zum Teil mehrfach ausprobiert, um sich zeichnend der überzeugenden Kopf- und Körperhaltung zu nähern. Der flüchtige Strich, die grafische Schraffur und die flächige Schwärzung fokussieren bei Liebermann den Blick auf den ihm wichtigen Bildausschnitt.
Es sind meist »intime«, ganz persönliche oder familiäre Alltagssituationen, die Liebermann in seinen gekonnt skizzierten Zeichnungen und den luftigen Radierungen festhält. Er schaut lesenden oder arbeitenden Menschen zu, beobachtet die liebevolle Bilderbuch-Lektüre einer Betreuerin und des ihr fürsorglich überlassenen Mädchens, »kiebitzt« beim familiären Kartenspiel und porträtiert ihm nahestehende Persönlichkeiten.
Ob Marktgeschenen oder Badefreuden, Konzertbesuch oder die Atmosphäre im Kaffeegarten - überall zeigt sich unaufgeregtes Alltagsgetriebe, das seine Spannung nur aus der jeweiligen Perspektive auf das Ereignis bezieht.
Skeptisch und fragend bleibt nur der eigene Blick in den Selbstporträts - so als wolle Liebermann sich vergewissern, ob seine Alltagsskizzen den Betrachter auch überzeugen. Grund zur Besorgnis hat er nicht.

Artikel vom 17.03.2006