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»Denen« ein Gesicht geben

Junge Aussiedler: WESTFALEN-BLATT-Interview mit Viktor Fast

Von Judith Frerick
Harsewinkel (WB). Für diesen Job ist er nicht nur fast perfekt. Viktor Fast ist die ideale Besetzung als Sozialarbeiter für die Jugendarbeit mit Russlanddeutschen. Die Stelle, die in ganz Nordrhein-Westfalen einmalig ist, gibt es seit Anfang 2006. Grund genug für das WESTFALEN-BLATT, mit dem 27-jährigen Diplom-Sozialpädagogen aus Warendorf über seine ersten Schritte, Probleme der jungen Aussiedler und Zukunftsperspektiven zu sprechen.

Herr Fast, warum sind Sie der richtige Mann für diesen Job - mal ganz davon abgesehen, dass Sie Ihre Diplomarbeit zum Thema »Die Integration von Spätaussiedlern« geschrieben haben?
Viktor Fast: Grundsätzlich mag ich junge Leute. Dabei ist mir egal, welche Nationalität der Mensch hat. Wenn es Probleme gibt, dann möchte ich helfen. Da ich selbst in Russland geboren wurde, spreche ich die Sprache, wenn auch nicht perfekt. Das ist schon ungemein hilfreich, um schneller akzeptiert zu werden. Ich bin in jungen Jahren selbst nach Deutschland gekommen und kenne die Probleme der jungen Aussiedler aus meiner eigenen Vergangenheit.
Was sind das genau für Probleme, mit denen die jungen Russlanddeutschen hier in Harsewinkel zu kämpfen haben?Viktor Fast: Die Russlanddeutschen fühlen sich oft nicht zugehörig. Und das geht allen so, die in eine andere Gesellschaft kommen. Jeder will dazu gehören, sie aber fühlen sich ausgegrenzt. Dadurch entstehen Identitätskonflikte: Die Jugendlichen sind hier und in Russland nicht anerkannt. Oftmals sind sie entwurzelt, zumal die Jugendlichen, mit denen ich in Kontakt bin, nicht an eine der russlanddeutschen Gemeinden in Harsewinkel gebunden sind. Meist gibt es wenig positive Berührungspunkte zu deutschen Jugendlichen. Und da fängt der Teufelskreis an: Die Jugendlichen spüren das negative Image und denken dann, dass sie eh keine Chance haben. Das führt manchmal dazu, dass sie dazu werden, wie sie angesehen werden. Ein großes Problem ist auch der Druck, eine Ausbildungsstelle oder einen Arbeitsplatz zu finden und einen ordentlichen Schulabschluss zu machen. Wenn der Einstieg ins Berufsleben klappt, dann ist viel geschafft.
Die jungen Aussiedler werden oft in eine Schublade geschoben. Es gibt viele Klischees . . .
Viktor Fast: Ja, das stimmt. Allerdings haben sich diese Klischees hier kaum bestätigt. Beim Montags-Treff der Russlanddeutschen in der Villa war ich ganz erstaunt. Ich hätte nie gedacht, dass die Jugendlichen so gerne Karten- und Brettspiele mögen. Der Billard- und der Kickertisch sind auch ständig belagert. Hier in Harsewinkel sind auch einige fitte Leute dabei, die ihr Abi machen oder ihr Studium planen. Man kann eben nicht alle in eine Schublade stecken.
Zu wie vielen Jugendlichen haben Sie denn bisher Kontakt aufgebaut?
Viktor Fast: Zu etwa 30 Russlanddeutschen. Beim Treff der Villa am Montag, bei der Boxveranstaltung am Dienstag oder beim Fußball am Mittwoch bin ich ganz normal mit den jungen Leuten ins Gespräch gekommen. Ich habe dabei ein gutes Gefühl und mittlerweile gute Beziehungen aufgebaut. Und dabei hat mir die russische Sprache sicherlich auch geholfen. Einzelne Jugendliche, die erst seit Kurzem in Harsewinkel sind, sprechen noch nicht so gut Deutsch, so dass ich Sie auf Russisch ansprechen kann. Ansonsten lege ich aber Wert auf Deutsch. Ich möchte vermitteln, dass in Deutschland Deutsch gesprochen werden sollte. Zu meinen Sprechzeiten, immer dienstags von 15 bis 18 Uhr in der Villa, sind allerdings noch nicht viele Russlanddeutsche erschienen. Es braucht etwas Zeit, bis sich das herumgesprochen hat. Gleichzeitig muss aber auch mehr Werbung für andere Anlaufstellen für Russlanddeutsche gemacht werden - für die Caritas-Gemeinwesenarbeit am Dammanns Hof etwa oder den Jugend-Migrationsdienst der Diakonie in Gütersloh. Ich kann all das mit meinen 13 Stunden pro Woche kaum abdecken.
Sie haben eben den Teufelskreis angesprochen. Wie kann man diesen durchbrechen?Viktor Fast: Die Lobbyarbeit müsste verstärkt werden - zum Beispiel durch einen Integrationspool, an dem sich Bürger beteiligen, die mit Migration zu tun haben. Wir müssen es schaffen, die positiven Aspekte der Gruppe darzustellen, etwa durch eine Ausstellung. Ich plane derzeit ein anderes Projekt, wo die Jugendlichen positiv in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Das sollen nicht mehr nur »die da« sein, die Schattengestalten. Man muss »denen« ein Gesicht geben. In Warendorf gibt es eine gute Organisation der Russlanddeutschen, die nicht kirchlich gebunden sind. Und ich habe die Hoffnung, dass das auch in Harsewinkel möglich ist. Außerdem sollten die guten Angebote für die Aussiedler noch weiter ausgebaut werden. Gerade Sport - Fußball, Boxen und Volleyball - kommt gut an.

Artikel vom 16.03.2006