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»Wir stehen kurz vor der Pleite«

Maßnahmen zur Bekämpfung der Vogelgrippe treiben Hartkämpers in den Ruin

Von Meike Oblau
Rietberg-Neuenkirchen (WB). Die Vogelgrippe zeigt erste ungesunde Auswirkungen. Allerdings nicht das Virus, das nach wie vor in ganz Westfalen nicht nachgewiesen wurde. Die Geflügelhalter leiden aber unter den strengen Auflagen, die sie einhalten müssen. Der Legehennen-Aufzuchtbetrieb Hartkämper in Neuenkirchen hat besonders hart zu kämpfen. »Wir wissen nicht mehr, wie wir kommende Woche das Futter bezahlen sollen«, schildert Marlies Hartkämper die dramatische Lage.

Der traditionsreiche Geflügelhof an der Schellertstraße steht ihren Angaben zufolge dicht vor der Pleite. »Wir haben uns an zahlreiche Politiker gewandt mit der Bitte, den Geflügelzüchtern doch endlich zu helfen. Alle haben sie nur mit den Schultern gezuckt«, schimpft die Neuenkirchenerin. Niemand fühle sich zuständig. Von den Politikern ist sie schwer enttäuscht: »Unser Landrat hat durch seine Sekretärin ausrichten lassen, er wisse auch nicht, wie der Kreis uns weiterhelfen könne. Landtagsabgeordneter Dr. Michael Brinkmeier kommt auch nicht auf die Idee, uns zu helfen. Hubert Deittert sagt, wir sollen abwarten, und Elmar Brok sitzt in Straßburg in seinem warmen Sessel. Und wir stehen vor dem totalen Ruin.« Die Hartkämpers vertreiben ihre Hühner hauptsächlich auf kleinen Märkten, die inzwischen zum Schutz vor der Vogelgrippe aber verboten sind. »Uns wurde die Verkaufsgrundlage komplett entzogen und niemand fragt nach, wie wir dieses Problem auffangen. Wir können es nämlich gar nicht auffangen. Dieses Problem ist nur durch die Politik zu lösen«, sagt Marlies Hartkämper. »Es klingt verrückt, aber finanziell wäre es für uns im Moment fast das beste, wenn die Vogelgrippe in Rietberg ausbricht. Dann hätten wir wenigstens Anspruch auf Zahlungen aus der Tierseuchenkasse. Im Moment bezahlen wir die Maßnahmen, und zwar mit unserem persönlichen Ruin.« In dritter Generation führt die Neuenkirchenerin den Legehennen-Aufzuchtbetrieb an der Schellertstraße, gerade erst vor drei Jahren haben sie und ihr Mann Antonius noch einmal kräftig investiert und neue Ställe gebaut. Normalerweise bleiben die Küken bei Hartkämpers, bis sie im Alter von 20 Wochen legereif sind und weiter vermarktet werden. Doch im Moment sind keine Abnehmer zu finden. »Wir haben Tiere bei uns im Stall, die inzwischen 25 oder sogar schon 30 Wochen alt sind. Wir müssen sie durchfüttern, sie werden immer weniger wert. Da könnten wir statt des Futters eigentlich auch Geldscheine in den Stall schmeißen«, ärgert sich Hartkämper.
Gestern hat sie einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel abgeschickt - unterzeichnet von 50 weiteren Rietbergern, die alle die gleichen Sorgen haben. »Wir verstehen grundsätzlich die Maßnahmen zum Schutz der deutschen Bevölkerung«, heißt es in dem Brief. »Wir sind aber der Meinung, dass unser Beitrag zum Schutz der Gesundheit und zur Abwendung einer Katastrophe in Deutschland von der Solidargemeinschaft getragen werden muss. Der grundsätzlich bestehende Schutz über die Tierseuchenkasse greift im Moment nicht, da erst aufgrund angeordneter Tötungen Zahlungen erfolgen. So paradox es ist - finanziell würde der Ausbruch der Seuche uns retten.«
Sie erwarte kein Mitleid, sondern endlich eine Entscheidung der Politik. Mit ihren Sorgen stehen die Hartkämpers nicht alleine da. In den Kreisen Gütersloh und Paderborn werden 15 Prozent der gesamten deutschen Legehennen aufgezogen. In etwa 150 bis 200 Betrieben werden derzeit etwa 1,2 Millionen Tiere gehalten, deren Vermarktungszeit seit Anfang Februar läuft und die eigentlich bis Anfang Mai vermarktet sein müssten. Die heimischen Geflügelzüchter befürchten insgesamt einen Umsatzausfall von sechs bis sieben Millionen Euro.
»Steuern zahlen dürfen wir, aber helfen tut uns keiner«, ist Marlies Hartkämper verzweifelt. »Hubert Deittert rät uns, eine Entscheidung abzuwarten, die möglichst bald getroffen werden soll. Aber was heißt denn Ýmöglichst baldÜ? Wir können nicht mehr warten, wir haben kein Geld mehr! Wenn uns jetzt niemand hilft, müssen wir einen Schnitt machen und die Tiere notfalls töten.« Beim Landwirtschaftsverband Münster kennt man das Problem der Geflügelbetriebe in der Region: »Die Nöte sind in den Kreisen Gütersloh und Paderborn besonders groß. In der Politik gibt es zwar ein Problembewusstsein, aber keine konkreten Aussagen oder Beschlüsse, wie geholfen werden kann. Gerade für die Geflügelhalter ist die Situation dramatisch, der Markt ist komplett zusammengebrochen. Die Politik ist an dem Thema dran, aber die Entscheidungsfreudigkeit lässt zu wünschen übrig«, sagte Pressesprecher Hans-Heinrich Berghorn gegenüber dem WESTFALEN-BLATT. Wie viele Betriebe bereits aufgeben mussten, wird in keiner Statistik erfasst.

Artikel vom 14.03.2006