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Ein ganzes Leben für den Kiosk

Margret Wenzel: Nach 81 Jahren endet jetzt eine Familien-Tradition

Von Mario Berger (Text und Foto)
Paderborn (WV). Am Monatsende wird Margret Wenzel nach 56 Jahren ihr letztes »Volksblatt« im Kiosk gegenüber dem Landgericht über die Ladentheke reichen. Damit endet die Kiosk-Familientradition, die ihr Vater, Ernst Wenzel, vor 81 Jahren begründete.

»Ich werde aus Altersgründen aufhören«, erklärt Margret Wenzel ihren Abschied. Dieser fällt der resoluten 72-Jährigen, die für ihren Kiosk gelebt hat, nicht leicht. »Vor einem Jahr hätte ich noch keinen Gedanken daran verschwendet.« Doch jetzt habe sie sich ganz bewusst für den Ruhestand entschieden und zieht damit einen Schlussstrich unter die 81-jährige Familientradition.
»Den ersten Kiosk gründete mein Vater im Jahr 1925 im Haus Grube 5«, sagt die Geschäftsfrau. Das Angebot sei damals sehr überschaubar gewesen. »Bis Kriegsende wurden ausschließlich Tabakwaren verkauft«. Die Bombardierung von Paderborn im Jahr 1945 schonte auch den Kiosk nicht, doch das Geschäft ging weiter. Mit einem mobilen Holzkiosk vor dem »Trümmerfrauen-Brunnen« auf dem Domplatz wurde der Verkauf notdürftig weitergeführt. Ein Jahr später - 1946 am neuen Standort vor dem Gericht - gab es die ersten Zeitungen im Sortiment. »Neben dem WESTFÄLISCHEN VOLKSBLATT hatten wir die Freie Presse im Angebot«, erinnert sich Margret Wenzel, die nach ihrer Schulzeit sofort im Geschäft ihrer Eltern mithalf. Seit 1982 führt sie den Kiosk in Eigenregie - gleichzeitig wurde aus dem provisorischen Holzladen ein richtiger Haus-Kiosk.
Mit der Arbeit kam die Menschenkenntnis. »Ich bin der reinste Beichtvater«, so die 72-Jährige, die heute mehr als 200 Stammkunden mit Vor- und Nachnamen anspricht. Bei den Gesprächen gehören private Dinge zur Tagesordnung. »Von der einsamen 80-Jährigen, die zweimal die Woche ihre Zeitung kauft, um sich einfach mal zu unterhalten, bis hin zur individuellen Eheberatung - mich kann so leicht nichts mehr überraschen.« Natürlich gibt es auch Lustiges zu berichten. Besonders schmunzeln muss die Geschäftsfrau, wenn mal wieder ein Playboy-Magazin gekauft wird. »Das sind oft Männer zwischen 35 bis 40 Jahren, die grundsätzlich einen Freund im Krankenhaus besuchen und diesem mit der Zeitschrift eine Freude machen wollen.«
Die Kiosk-Inhaberin, die immer einen flotten Spruch auf den Lippen hat, sucht jetzt einen Nachfolger für ihr Geschäft. »Ich wünsche mir, dass der Kiosk nicht untergeht.« Schon heute bringen viele Stammkunden Blumen, um sich bei ihr zu bedanken. »Ich habe den Eindruck, dass der Abschied vom Kiosk für viele Kunden schwieriger ist als für mich.« Über die kommende Freizeit will sie noch nicht nachdenken. »Ein Schritt nach dem anderen, jetzt muss ich erstmal Abschied nehmen, und dann beginnt ein neuer Lebensabschnitt.«

Artikel vom 15.03.2006