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Die Kolumne Stadtgespräch erscheint mittwochs in dieser Zeitung.

Stadt
Gespräch

40 Jahre am »Katzentisch« (163. Folge)Erzbischof kam in die Wärmehalle


Harter Winter vor 60 Jahren. Zwar war es nicht so kalt und schneereich wie in dem jetzt endlich zuende gehenden Winterhalbjahr 05/06, aber der Hunger machte 1945 den nur noch 21455 Einwohnern in der durch Fliegerbomben zu 85 Prozent zerstörten Paderstadt schwer zu schaffen.
Bürgermeister Christoph Tölle (  1977) erinnert in seinen Aufzeichnungen: »Das eindrucksvollste Bild war 1945 und in den Jahren darauf die emsige Tätigkeit der Bürger beim Schutträumen und der notdürftigen Instandsetzung ihrer Wohnhäuser. Von morgens bis abends sah man Frauen, Männer und sogar Kinder beim Heraussuchen der Ziegelsteine aus den Schuttmassen und deren Saubermachen vom Mörtel«.
Alles fehlte, erinnern sich ältere Paderborner an jene Zeit. Es gab nur wenig Lebensmittel, Schuhe, Kleidung und Medikamente auf Bezugscheinen. Wer nicht freiwillig mithalf, den Schutt aus den Straßen zu räumen, bekam keine »Rauchermarken«, die zum Erwerb von Zigarren, Zigaretten und Tabak notwendig waren. Wer konnte, tauschte gegen Lebensnotwendiges. Brennstoffmangel war eines der größten Probleme. In ihrer Not stellten findige Paderborner für den Winter vor 60 Jahren aus Kohlenstaub und Zement Briketts her. Es wurden Wärmehallen für Bürger und Besucher der Stadt eingerichtet.
Friedrich Wyshoff (86) früher Königstraße, erinnert sich an den Elan, mit dem Nachbar Ferdinand Klingenthal in seinem ausgebrannten Modehaus an der Westernstraße daran ging, für die Allgemeinheit eine große »Aufwärm-Stube« einzurichten. Ferdinand Klingenthal war am 3. Juli 1945 aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt.
Bereits im Mai hatten zehn verbliebene Angestellte damit begonnen, Trümmer zu beseitigen. 300 Fuhren Schutt wurden an den Stadtrand geschafft. Klingenthal bezog als Büro eine 20 Quadratmeter große Holzbaracke. Mit seinen Mitarbeitern versuchte er, das Geschäft wieder in Gang zu bringen. Zunächst wurde der Stahlbetonbau abgedichtet, Pappe-Verkleidung bekamen die leeren Fenster. Schon im Herbst 1945, darf erinnert werden, hielt der damalige Regierungspräsident Dr. Zenz aus Minden im einigermaßen hergerichteten Geschoss Besprechungen mit den zuständigen Behördenvertretern ab. »Wenn Gewitter, Staub oder Sonne Verhandlungen auf der Straße unmöglich machten«, erinnert der Chronist.
Die Klingenthals reichten der Bevölkerung ihre helfende Hand und gaben ein vorbildliches Beispiel der Solidarität mit der frierenden und notleidenden Bürgerschaft. Eine Wärmehalle wurde im zweiten Stock des ausgebrannten Kaufhauses eingerichtet.
Zur Einweihung am 14. Dezember 1945 kam Erzbischof Lorenz Jaeger. Er segnete die Räume und gab der Bevölkerung Hoffnung. Im Sommer 1945 hatten die britischen Besatzer allen Ernstes vorgeschlagen, den Bischofssitz nach Lippstadt zu verlegen. Auch im nahen Salzkotten wurden Räume angeboten. Der Erzbischof blieb mit seinen Mitarbeitern in Paderborn, er wohnte im Waisenhaus in der Stadtheide.
Zwei große finnische Öfen spendeten bei Klingenthal im Stadtzentrum Wärme. Bis zum Mittag kamen um die 200 Besucher. Sie erhielten auch heißes Getränke oder eine kleine Stärkung. Groß war die Teilnahme alle drei Wochen an musikalischen und volkstümlichen Morgenfeiern.
Zwei Jahre nach Eröffnung der Wärmehalle wurde das Haus Klingenthal in der Liboriwoche 1947 Ausstellungsstätte für »Kunst am Hellweg«. Über 20.000 Besucher kamen in der Festwoche. Es stellten aus: Josefthomas Brinkschröder, Josef Dominicus, Peter Gallaus, Rudolf Hotes, Josef, Georg und Theo Lucas, Ernst Mischke, Heinrich Niedieck, Hannes Pink, Christel Poll, Josef Rikus und Klara Vogedes. Georg Vockel

Artikel vom 15.03.2006